Staffel 1, Folge 12

Fischen im Trüben:
10 morde & keine Spur

Ermittlungen in Richtung der Türkische Mafia oder die Suche nach einem mysteriösen Phantom: 10 Morde und ins Leere laufende Ermittlungen. In dieser Episode gehen wir mit dem NSU Gerichtsreporter Tom Sundermann auf Spurensuche nach falschen Motiven, Ermittlungspannen, rechten Vorurteilen und dem möglichen Netzwerk der Zwickauer Terrorzelle.

Ein "History-Crime" Podcast der Georg-von-Vollmar-Akademie e.V.

Die Georg-von-Vollmar-Akademie e.V. ist eine Einrichtung der politischen Erwachsenenbildung in Kochel am See. Verpflichtet fühlen wir uns, wie unser Namensgeber Georg von Vollmar und Gründer Waldemar von Knoeringen, folgenden Grundwerten: Soziale Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Unsere wesentliche Aufgabe besteht darin, Menschen für die Mitarbeit in unserer Demokratie zu gewinnen und zu begeistern.

alle Folgen, Staffel 3

Die 3. Staffel führt von Oberbayern über Sizilien nach Mississippi. Es werden wieder einige der spannendsten, aber auch grausamstem Morde des 20. Jahrhunderts besprochen. Steigen Sie ein in die Welt des History Crime!

Kurz & Knackig

Folge 12: Fischen im Trüben – 10 Morde & keine Spur

Niklas Miyakis: Liebe Hörerinnen und Hörer, ein herzliches Willkommen zu „Tatort Geschichte“. Und wie immer sitzt er an meiner Seite, Hannes Liebrandt. Ich grüße dich, Hannes! #00:00:55.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Niklas, schön hier zu sein wieder. #00:00:57.8#

Niklas Miyakis: Hannes, kennst du die Sendung Aktenzeichen XY? #00:01:00.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, natürlich. Klar, wer kennt das nicht, oder? #00:01:03.0#

Niklas Miyakis: So ein bisschen auch deutsches Kulturgut. #00:01:05.4#

Dr. Hannes Liebrandt: Wie Tatort. #00:01:06.1#

Niklas Miyakis: Gucke ich für mein Leben gern. Ganz spannende Serie, weil es ja um echte Kriminalfälle geht. Ich habe danach immer Angst, ins Bett zu gehen. Aber warum erzähle ich das hier alles? Weil wir hinsichtlich der letzten Folge, wo wir über einen Mord gesprochen haben, der dann später dem Nationalsozialistischen Untergrund zugeordnet worden ist, und in einer dieser Sendungen von Aktenzeichen XY ging es darum auch, ohne dass man das damals zu dem Zeitpunkt schon wusste. Wir sind ganz konkret im Jahr 2006. Auch da waren wir ja in der letzten Folge schon. Am 3.8.2006 ist der Leiter der BAO Bosporus Wolfgang Geier zu Gast bei Aktenzeichen XY. Er bittet nun die Zuschauer um Hinweise mit Blick auf die Ceska Mordserie. #00:01:51.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Niklas, das müssen wir vielleicht ganz kurz noch mal einordnen. Diese Ceska Mordserie verweist auf die Tatwaffe, die zu diesem Zeitpunkt bereits bei neun Morden irgendwie nachgewiesen wurde im Zeitraum von 2000 bis 2006. Der letzte dieser neun Morde liegt nur wenige Monate zurück, eben der Mord an Halit Yozgat in Kassel. Also das war ja unser Schwerpunkt der letzten Episode. Wir wissen eben auch, dass dieser Mord mit dieser Waffe letztendlich begangen wurde. #00:02:22.2#

Niklas Miyakis: Ja genau, darauf will ich hinaus. Ich wollte einfach anhand dieser „Aktenzeichen XY“-Folge zeigen, wie sehr man damals wirklich im Dunkeln getappt ist. Man hatte im Grunde überhaupt keine Ahnung, wer hinter dieser Mordserie stecken könnte. Also in dem Gespräch zwischen Geier und dem Moderator Rudi Cerne ging es dann auch so ein bisschen um die schwierige Suche nach dem Motiv. Man hat dann so ein bisschen spekuliert, möglicherweise organisierte Kriminalität, ein Auftragskiller. Man hatte aber überhaupt keine Idee davon, dass möglicherweise ein rechtsextremistisches Motiv hinter diesen Taten stecken könnte. Man sinniert dann noch, also die Opfer, die sahen alle Türkei-stämmig aus, auch wenn jetzt nicht unbedingt alle Türkei-stämmig waren, aber man sagt dann sogar noch mit Blick auf

Theodoros Boulgarides, der ja Grieche war, der sah eben auch so aus. Aber man kommt trotzdem überhaupt nicht auf die Idee in dieser Sendung, vielleicht auch dieses Motiv, also das rechtsextremistische zu nennen. #00:03:17.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Allein die Tatsache, dass man sich so an die Öffentlichkeit wendet, auch über Aktenzeichen XY, zeigt, ist ein Beleg eigentlich schon für das Fischen im Trüben, oder? #00:03:26.9#

Niklas Miyakis: Trüb bis stockdunkel, könnte man auch sagen. Also dieser Eindruck verstärkt sich vor allen Dingen, wenn man sich noch eine zweite Sendung anschaut, dann im Jahr 2008. Da geht es um den sogenannten Polizistenmord von Heilbronn. Michèle Kiesewetter ist damals am 25. April 2007, also ein Jahr davor, ermordet worden. Ihr Kollege Martin A. wurde schwer verletzt. #00:03:48.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Und auch dieser Mord wurde dann auch später dem NSU zugeordnet. Das habe ich echt nie so richtig verstanden, ich jetzt als außenstehende Person, sage ich jetzt mal, warum der NSU Michèle Kiesewetter umgebracht hat. Können wir vielleicht noch mal kurz aufgreifen, passt eigentlich nicht so ins Profil des NSU. #00:04:06.6#

Niklas Miyakis: Passt nicht so richtig ins Profil und deswegen hat man eben auch im Jahr 2008, wo man natürlich auch noch nicht weiß, wer die Morde mit Blick auf die Ceska Serie verübt hat, da hat man erst recht keine Idee davon, wer eben Michèle Kiesewetter ums Leben gebracht hat. Man sucht nach einer mysteriösen Frau, weil man eben von der am Tatort DNA-Spuren gefunden hat. Man nennt das Ganze dann „Das Phantom“. Und ich zitiere hier mal aus dem Film, der zu dem Mord gezeigt wurde: „Denn dieses Phantom gehöre zu den rätselhaftesten Phänomenen der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte.“ Aber es wird eben keine Verbindung zu den Ceska Morden hergestellt. Es ist kein Ansatz auch hier wieder zu erkennen, dass es irgendwie dem rechtsextremistischen Milieu zuzuordnen ist. Ja, diese beiden

Episoden von Aktenzeichen XY zeigen eigentlich exemplarisch relativ gut, wie weit entfernt die Ermittlungsbehörden damals davon waren, die Taten aufzudecken. #00:04:59.2#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, aber, ich muss kurz reingrätschen, Niklas, ich bin grundsätzlich voll bei dir, aber wir betrachten das immer so ein bisschen aus der wissenden Gegenwart heraus. Also wir haben jetzt die Fakten vor Augen, wir wissen genau die Entwicklungen, die danach eingesetzt haben. Das muss man schon immer auch ein bisschen beachten, wenn man das eben bewerten möchte, dass wir natürlich einen ganz anderen Kenntnisstand darüber haben. #00:05:22.5#

Niklas Miyakis: Ja, absolut, Hannes. Ich will mich da auch gar nicht zu weit sozusagen aus dem Fenster der Gegenwart lehnen, aber es sind auf jeden Fall damals gravierende Fehler und Pannen begangen worden. Bleiben wir bei der Metapher Fischen im Trüben. Die Ermittlungsbehörden und sicherlich auch der Verfassungsschutz haben da einen gewissen Beitrag zu geleistet. Auch das haben wir ja schon kurz besprochen in der letzten Episode. Aber das wollen wir eben heute ganz insgesamt tun, mit Blick auf den ganzen NSU-Komplex, wenn man so will. Denn es gab durchaus bemerkenswerte Skurrilitäten. #00:05:55.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, Fehler und Pannen trifft es ganz gut. Und das ist vermeintlich sogar noch eine Untertreibung. Wir haben in der letzten Folge auch über die Nazi-Netzwerke gesprochen, über Helfer und Helfershelfer, die dahinterstanden, die das Ganze auch gedeckt und aktiv auch unterstützt haben. Und all das begegnet einem immer wieder, wenn man sich tatsächlich mit dem NSU beschäftigt, wenn man tiefer in diese Materie vorstößt. Um das wirklich auch besser verstehen und begreifen zu können, haben wir uns heute ein bisschen Unterstützung geholt durch einen heutigen Gast, durch Tom Sundermann. Ich sag gleich etwas zu ihm, aber erst mal möchte ich natürlich ihn begrüßen. Hallo Tom, schön, dass du da bist! #00:06:31.6#

Tom Sundermann: Hallo! Freut mich. Ich bin ein Riesenfan. #00:06:33.7#

Niklas Miyakis: Und das sagt er, ohne rot zu werden. Auch ein herzliches Willkommen von mir! #00:06:39.2#

Dr. Hannes Liebrandt: Tom, du hast als freier Journalist über diesen Jahrhundertprozess berichtet. Nein, du warst eigentlich mitten dabei. Du hast da über mehrere Jahre letztendlich live davon berichtet. Dein ganzer Job war letztendlich danach auch ausgerichtet. Wir kommen da gleich noch dazu. Du hast Beate Zschäpe gesehen, die anderen fünf Mitangeklagten. Das ist natürlich ein ganz wichtiger Input für unsere heutige Folge. #00:07:00.4#

Niklas Miyakis: Und du hast den Platz im Gerichtssaal zugelost bekommen, eine sehr ungewöhnliche Geschichte, wie ich finde. #00:07:05.7#

Tom Sundermann: Ja. #00:07:05.7#

Niklas Miyakis: Auch dazu kommen wir später. Denn natürlich wird auch der Gerichtsprozess einen großen Teil unserer heutigen Episode ausmachen. #00:07:14.4#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, der NSU beschäftigt dich aber heute immer noch. Also das ist jetzt nicht vorbei. Beate Zschäpe wurde ja verurteilt, aber es ist immer noch ganz aktuell. Du hast zum Thema NSU auch mit einem Kollegen ein digitales E-Book erstellt. Kannst du vielleicht noch mal ein, zwei Sätze zu diesem E-Book sagen? #00:07:31.4#

Tom Sundermann: Dieses E-Book für die Georg-von-Vollmar-Akademie ist ursprünglich entstanden als Projekt, das wir Schülerinnen und Schülern für den Unterricht darreichen wollen. Wir haben das aber immer weiter erweitert als Wissensquelle über den Komplex NSU, von den Anfängen bis zum Prozess. Das ist eine Quelle, wo man sich eben informieren kann darüber: Wie ist es entstanden? Wie ist es weitergegangen? Es ist im Prinzip auch vieles, womit ihr euch schon in der ersten Episode befasst habt. #00:08:02.0#

Dr. Hannes Liebrandt: Und vieles greifen wir da heute auch sicher noch auf. Auch, dass ihr noch einen Podcast dazu gemacht habt. Also E-Book und Podcast findet ihr dann auch einen Link in den Shownotes. #00:08:12.1#

Niklas Miyakis: Wir haben jetzt schon über Ermittlungspannen gesprochen. Und das geht, Tom, im Grunde schon los, bevor der nationalsozialistische Untergrund selbst mit dem Terror anfängt, die ersten Anschläge verübt. Noch in den Jahren vor den ersten Morden hätten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eigentlich verhaftet werden müssen. Ich will konkret hinaus auf den 26. Januar 1998. Da werden nämlich die Wohnungen des Trios und auch eine Garage durchsucht. Da findet man ja so allerlei. #00:08:42.7#

Tom Sundermann: Ja, das stimmt. Ich habe mir hier noch mal einen alten Artikel von mir als Gedächtnisstütze rausgesucht. Diese Garage in Jena, die die Polizei durchsucht hat, das war eine wahre Bombenwerkstatt. Vier Rohrbomben, eine Zündvorrichtung aus einem Wecker und insgesamt 1,4 Kilogramm TNT-Gemisch. Und dazu noch einiges anderes, Propaganda-Material, rechtsextreme Schriften und ein Spiel namens Progromli, eine ausländer- und judenfeindliche Version, Perversion von Monopoly. Alles hergestellt von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Also spätestens, allerspätestens, als man diese Garage durchsucht hat, war glasklar, hier sind drei Rechtsextremisten am Werk, die hochgefährlich sind. Da gab‘s nichts zu deuteln. #00:09:36.1#

Dr. Hannes Liebrandt: Und man muss sagen, diese Garage, die wird auch, also man kann ja dann Namen zurückverfolgen. Das ist ja nicht einfach irgendwie ein leerer Raum irgendwo. Warum kommt es da jetzt zu keiner Verhaftung? Also du hast es ja gerade ein bisschen angesprochen, spätestens da hätten die Alarmglocken schrillen müssen, aber es kommt eben nicht zur Verhaftung. #00:09:51.7#

Tom Sundermann: Ja, das ist eine Frage, die hätte ich damals gerne der Polizei gestellt. Denn die Polizisten sind zusammen mit Uwe Böhnhardt zu dieser Garage hingefahren, er war derjenige, der den Schlüssel hatte, und hingefahren, haben aufgeschlossen, Uwe Böhnhardt steht irgendwo in der Gegend herum, und während die Polizisten noch durchsuchen, setzt er sich in sein Auto und fährt los. Das nächste, was er dann macht, ist, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe einzusammeln und die drei flüchten in den Untergrund. Das könnte man schon fast abschließen mit, und der Rest ist Geschichte. #00:10:24.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja. #00:10:25.2#

Niklas Miyakis: Das finde ich so krass, weil wir hatten das ja vorhin. Aus der Gegenwart weiß man natürlich dann, was passiert ist und so weiter. Aber wenn man sich diese Garage anguckt, dann muss man ja nun kein Hellseher sein, um zu sehen, hier sind nicht irgendwie gerade Leichtmatrosen unterwegs. #00:10:40.3#

Tom Sundermann: Ja. #00:10:40.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, zwangsläufig denkt man natürlich dann auch über Fehler, auch der Ermittlungsbehörden. Gibt’s da konkretere Hinweise, wo man jetzt sagt, wo jetzt genau konkrete Fehler der Ermittlungsbehörden neben der Tatsache, die wir gerade angesprochen haben, bereits dann schon auch zu registrieren sind? #00:10:55.9#

Tom Sundermann: Ja. Das war dann so die Zeit, wo es langsam losging mit den ersten von vielen, vielen Fehlern, die in dieser ganzen Geschichte gemacht wurden. Um nur mal ein Beispiel zu nennen, der NSU war sehr gut befreundet mit einem örtlichen Neonazi, André Kapke. Der wiederum hat einen seiner Kumpels mal angerufen, das war eine Zeit nach der Flucht, da sind wir jetzt so ein paar Monate rein vielleicht, hat gesagt: „Hey! Ich habe hier drei Leute, die haben Scheiße an der Backe.“ Ist, glaube ich, ein wörtliches Zitat. „Können die mal für ein paar Tage bei dir unterkommen?“ Was er nicht wusste, dass der Kumpel, den er angerufen hat, V-Mann ist, also ein Informant des Verfassungsschutzes. Der wiederum hat seinen V-Mann-Führer, also im Prinzip einen Beamten, der die Informationen auswertet, angerufen, ihm das erzählt und um Rückmeldung gebeten. Das heißt, jetzt sind wir an einem Punkt, da bekommt der Verfassungsschutz die drei praktisch auf dem Silbertablett serviert, und damit auch die anderen Ermittler. Und es geschieht nichts. Der Verfassungsschutz meldet sich nicht zurück, die Gelegenheit verstreicht, der NSU ist weiter frei. #00:12:03.9#

Niklas Miyakis: Wir haben auch schon relativ viel darüber gesprochen in der letzten Folge und wollen das vielleicht heute auch noch mal so ein Stück weit vertiefen, welche Rolle bei diesem Nichtstun möglicherweise, wir wollen hier nichts unterstellen, muss man vorsichtig sein, aber möglicherweise, man legt sich ja auch sehr früh auf die türkische Mafia fest und so weiter, da rassistische Ressentiments gespielt haben? Was würdest du dazu sagen? #00:12:24.9#

Tom Sundermann: Man kann natürlich im Nachhinein immer schwer in die Köpfe von Ermittlern gucken, aber wir haben hier viel rekonstruiert und ich habe auch im NSU-Prozess viel gehört. Wenn man zu Schablonen greift wie, Ausländer bringen Ausländer um, oder wenn ein Migrant, jemand mit türkischem Migrationshintergrund, Probleme hat, wenn es da Gewalt gibt, dann liegt das sicherlich irgendwo im Bereich des Clans oder der Netzwerke, die Migranten untereinander knüpfen in der Community. Also da sind die Erklärungen schnell bei der Hand und wenn man sich

einmal darauf festgelegt hat, dann ist es natürlich auch bequem dabei zu bleiben. #00:13:07.1#

Niklas Miyakis: Du hast jetzt schon von gewissen Scheuklappen gesprochen, die die Ermittlungsbehörden hatten, aber das heißt noch nicht unbedingt, dass die auch ganz aktiv ein rechtsextremistisches Milieu mit bedingen. Wir haben viel über den Fall in Kassel gesprochen in der letzten Episode, also hört da unbedingt auch noch mal rein, falls ihr das noch nicht getan habt, und da sprechen wir auch darüber, ob es Mitwisser, Unterstützer, möglicherweise sogar weitere Täterinnen und Täter gab. Wir haben jetzt ganz aktuell den Urteilsspruch im Fall Walter Lübcke. Übrigens ganz schrecklich finde ich, der sogenannte NSU 2.0 hat die Schule, die nach Walter Lübcke auf Initiative der Schüler umbenannt worden ist, nach der Urteilsverkündung bedroht. Man weiß nicht genau, was in dieser Droh-E-Mail gestanden hat, aber finde ich auch ganz perfide. Aber was hältst du für möglich mit Blick auf dieses rechtsextremistische Milieu? Ist das irgendwie wahrscheinlich, dass auch diese beiden Fälle miteinander zusammenhängen? #00:14:08.4#

Tom Sundermann: Man kann letztlich nur spekulieren, solange es da keine harten Belege gibt. Was wir eben wissen, ist, es gibt immer wieder Querverbindungen, zum Beispiel aus dem Komplex NSU und den Leuten, die da als Helfer und Helfershelfer oder zumindest Sympathisanten gelten. Man kann immer sehr einfach innerhalb des rechtsextremen Milieus Verbindungen herstellen in andere Komplexe, und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn es zumindest über ein, zwei Ecken eine Verbindung gibt zum Fall Lübcke und auch zu vielen anderen Dingen. Es sprießt ja alles aus demselben Milieu. Und da sind auch personelle Verwebungen überhaupt keine Überraschung. #00:14:50.9#

Niklas Miyakis: Also es kann durchaus sein, dass irgendwo ein Rechtsextremist, der was mit Lübcke zu tun hat, bei den NSU-Ermittlungen auftaucht, und auch das haben wir besprochen, aber trotzdem nichts direkt mit den Taten der Zwickauer Terrorzelle zu tun haben. #00:15:06.0#

Tom Sundermann: Ich würde diese Taten jetzt nicht in einen direkten Zusammenhang bringen, aber es ist mir schon oft passiert, wenn ich andere Fälle im rechtsextremen Bereich durchsucht habe und diese Namen mal durch das Ermittlungsmaterial habe laufen lassen per Suchfunktion, da gibt’s dann immer schon einige Treffer. #00:15:22.6#

Niklas Miyakis: Das öffnet dann auch immer Tür und Tor für Verschwörungstheorien. #00:15:25.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, unbedingt. #00:15:26.3#

Tom Sundermann: Darum bin ich da auch so vorsichtig, wenn ich sage, nicht spekulieren. #00:15:29.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Und vielleicht ist die Antwort viel einfacher. Kann es denn, ich stelle mich jetzt mal ein bisschen dumm, sag ich mal, kann es denn eigentlich auch sein, dass die Helfer oder die mutmaßlichen Helfer in diesem rechtsextremen Milieu teilweise überhaupt nicht wussten, wem sie da eben ganz konkret halfen? Also nach dem Motto, ich lasse jetzt die beiden Uwes mal bei mir schlafen, weiß aber zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nichts über den NSU oder in welche Taten die überhaupt verwickelt gewesen sind. Das kann ja auch sein. #00:15:57.2#

Tom Sundermann: Auch das hat es gegeben. Diese Fälle hat es insbesondere im NSU-Prozess gegeben. Da saßen Angeklagte auf der Anklagebank, die dann letztlich in viel geringerem Umfang verurteilt wurden, als es angeklagt worden war. Wir denken an den angeklagten André E., der mit einer sehr geringen Strafe davongekommen ist, weil eben nicht nachgewiesen werden konnte, dass ihm zum Beispiel klar war, seine Unterstützung für den NSU, ich glaube, er hat da Fahrzeuge

gemietet oder zumindest seine Ausweise dafür überlassen, dass ihm gar nicht klar war, dass es hier um rechtsextremen Terrorismus ging. #00:16:34.1#

Dr. Hannes Liebrandt: Da haben doch die Leute sogar, oder ein paar Leute zumindest, im Gericht applaudiert, oder? #00:16:37.6#

Tom Sundermann: Ja. Das waren seine Gesinnungsgenossen, die waren natürlich happy. #00:16:41.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Weil er so ein mildes Urteil bekommen hat? #00:16:43.5#

Tom Sundermann: Ja. #00:16:44.1#

Niklas Miyakis: Lasst uns aber vielleicht auch noch mal so ein bisschen über die Rolle des Verfassungsschutzes ganz allgemein sprechen. Denn hier gibt es mit Blick auf den ganzen NSU-Komplex durchaus, ich sag jetzt mal, bemerkenswerte Ereignisse. Zum Beispiel die unter dem Namen „Operation Konfetti“ berühmt gewordene Anekdote, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU recht hektisch relativ viele Akten vernichtet hat. Oder wenn wir in die Zeit zurückreisen vor den ersten Morden, dann sind immer wieder szenekundige Leute angeworben, die das Geld, was sie vom Verfassungsschutz dann als V-Mann bekommen haben, eben oft auch in die Stärkung des eigenen Milieus gesteckt haben. Also ganz konkret will ich zum Beispiel auf die Figur Tino Brandt heraus. Der war ab Mitte der 1990er Jahre V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, hat da ein Honorar bezogen, hat die mit Informationen natürlich auch beliefert, aber hat die Kohle, um es mal ganz salopp zu sagen, in den dann neugegründeten Thüringer Heimatschutz gesteckt. Und, das finde ich durchaus sehr bemerkenswert, er hat im Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss im Jahr 2018 ausgesagt, dass er dieses Geld, was er da vom Verfassungsschutz bekommen hat, teilweise auch an die Mitglieder des NSU weitergeleitet hat. #00:18:07.1#

Tom Sundermann: Ja. Das ist das, was er behauptet. Man muss da immer ein bisschen aufpassen, denn Brandt kann sich natürlich auch mit dieser Aussage decken und sagen, ich habe das alles schön an die Kameraden weitergeleitet, überhaupt nichts irgendwie für meine persönlichen Zwecke verwendet, um natürlich auch sein Standing in der rechtsextremen Szene zu bewahren. Also ich wäre sehr vorsichtig damit, ihm das zu glauben, aber klar ist ja: Hier hat ein Neonazi direkt sehr viel Unterstützung erhalten und hat dann mit großem Erfolg seine Organisation, den Thüringer Heimatschutz, eben aufgebaut. Und da kann man dann sicherlich sagen, ja, daran hatte das Landesamt für Verfassungsschutz einen gewissen Anteil. #00:18:49.6#

Niklas Miyakis: Aber wenn ich dich da richtig verstehe, sagt das natürlich auch viel über die Szene aus, dass sich einer damit profilieren will, dass er diese Terroristinnen und Terroristen unterstützt hat, wenn es möglicherweise gar nicht stimmt. #00:19:02.0#

Tom Sundermann: Na ja, profilieren oder eben auch ein Stück weit retten. Denn Brandt gilt natürlich als Verräter, weil er enttarnt wurde als Spitzel des Verfassungsschutzes. Und so jemand ist natürlich in der Szene nicht unbedingt gut gelitten. #00:19:14.4#

Niklas Miyakis: Im Jahr 2011 dann der Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Wir hatten schon gesagt, die Ermittlungsbehörden haben bis dahin keine Ahnung, wer hinter der Mordserie mit der Ceska steht, sie haben keine Ahnung, wer Michèle Kiesewetter umgebracht hat. Dann platzt sprichwörtlich die Bombe, wenn man so will. Und natürlich ist das mediale Echo riesengroß. Das gilt auch für den dann folgenden Gerichtsprozess, der logischerweise ohne die beiden stattfindet. Aber die Mithelferin oder Täterin, das besprechen wir gleich vielleicht auch noch ein Stück weit, Beate Zschäpe steht vor Gericht. Ein Riesenprozess,

Jahrhundertprozess, wenn man so will, Tom. Und du konntest einen der begehrten Plätze ergattern. Wie ist es dazu gekommen? #00:20:01.3#

Tom Sundermann: Davon erzähle ich am liebsten. Das Jahr ist 2013, ich bin ein freier Journalist, der sich so durchrobbt mit kleineren Aufträgen, und dann kommt der NSU-Prozess. Es gibt in diesem Gerichtssaal eine begrenzte Anzahl von Plätzen: 101. Und 50 davon waren für Journalistinnen und Journalisten reserviert. Ich habe lange Zeit überhaupt nichts von diesem Prozess mitbekommen, bis dann irgendwann ein Freund zu mir gesagt hat: Du, Tom, bewirb dich doch auf so einen Platz. Und ich sagte: Na ja, gut, kann ja nicht schaden. Also habe ich meine Bewerbung an das Oberlandesgericht in München geschickt, ich habe damals übrigens noch in Köln gewohnt, und dann habe ich die Sache wieder vergessen. Und zwei Wochen später bekomme ich einen Anruf von einem ehemaligen Kollegen, wo ich mal gearbeitet habe, und er sagte: Herzlichen Glückwunsch zu deinem Platz im NSU-Prozess! Und da habe ich erst mal eine Zeit lang gar nichts gesagt. #00:21:00.4#

Niklas Miyakis: Ihr thematisiert das ja auch in euerm Podcast. Anscheinend ist da extra eine Pressekonferenz einberufen worden, um zu verkünden, wer einen dieser begehrten Plätze bekommen hat. Und (unv. #00:21:11.1#) #00:21:11.3#

Tom Sundermann: Da wurde mein Name vorgelesen und ich war nicht dabei. #00:21:13.9#

Niklas Miyakis: Du hast es gar nicht live gesehen? #00:21:15.8#

Tom Sundermann: Mhm (bejahend). #00:21:16.3#

Niklas Miyakis: Ein regelrechter Mammutprozess, der fünf Jahre dauerte. Wir haben jetzt schon über Netzwerke, Verwicklungen und Hintergründe gesprochen. Ich stelle

mir das vor, das muss ja auch in irgendeiner Art und Weise in diesem Gerichtsprozess aufgearbeitet worden sein. Es war ja relativ eindeutig, weil die starken Indizien dafürgesprochen haben, wer hinter zum Beispiel der Ceska Mordserie steckte, aber dann eben auch, wer Michèle Kiesewetter umgebracht hat. Aber was man zu Beginn des Prozesses noch nicht wusste: Wer hat dabei geholfen? Wer hat Ausweise, wer hat Geld, wer hat Waffen besorgt? Wer war für Fluchtautos verantwortlich? War das alles irgendwie Gegenstand des Gerichtsprozesses? #00:22:00.4#

Tom Sundermann: Das war Gegenstand des Gerichtsprozesses, denn es war ja auch Gegenstand der Ermittlungen vorher. Also, als das Verfahren begonnen hat, war sich zumindest die Bundesanwaltschaft schon sehr sicher, gut zu wissen, wer jetzt hier in den einzelnen Punkten geholfen hat. Ausweise, Fluchtautos, das wurde alles ziemlich gut aufgeklärt. Wir haben aber, und zwar bis heute, ein riesiges Dunkelfeld, und das sind die Waffen. Der NSU hatte ein regelrechtes Waffenarsenal, Pistolen, Revolver, Flinten, Gewehre. Beate Zschäpe hat sogar mal erzählt, dass ihr Waffen beim Putzen in der Wohnung in Zwickau in die Hände gefallen sind. Also über und über Waffen hier in der Hand der Terroristen. Und von einem Großteil wissen wir nicht, wo sie herstammen. Wir wissen es für die Mordwaffe in neun der Fälle, die Ceska 83, die kam aus der Schweiz über mehrere Mittelsmänner, aber für einen Großteil eben nicht. Und das ist natürlich extrem alarmierend, denn man muss sich natürlich schon fragen: Wie kommen gewaltbereite Rechtsextremisten so einfach an Waffen? #00:23:10.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Bei Geld weiß man es, glaube ich, ganz gut, oder? Das waren die Banküberfälle, da sind sie auch letztendlich aufgeflogen am Ende. Ich stelle mir das vor, so ein Leben im Untergrund kostet ja auch wahnsinnig viel Geld. Das wurde doch maßgeblich über diese Banküberfälle dann auch gemacht, oder? #00:23:25.3#

Tom Sundermann: Zumindest in der Zeit, also einige Monate nach dem Untertauchen. Davor gab es aber schon noch einige andere Unterstützungen, die Kameraden haben gesammelt und es gab dieses Progromli-Spiel. Das wurde in größerer Stückzahl hergestellt und in der Szene verkauft, der Erlös kam dann dem Trio zugute. #00:23:46.5#

Niklas Miyakis: Du hast jetzt die Waffen angesprochen und dass es so ein Waffenarsenal war. Was ich da merkwürdig finde, wieso haben sie denn dann weitestgehend immer, bis auf den Kiesewetter-Mord, immer die gleiche Waffe benutzt? #00:23:59.5#

Tom Sundermann: Die Waffe ist ein Zeichen, also du hast Mord 1, du hast Mord 2, du hast Mord 3 und so weiter. Es gibt kaum verbindende Elemente, Herkunft ist etwas schwammig. Die Waffe ist was Eindeutiges, man kann rausfinden bei Untersuchungen, aus welcher Waffe genau ein Projektil verschossen wurde. Das war gewisser Weise das Markenzeichen des NSU. Und so gab es hier immer eine Verbindung, aber eben die ganze Zeit nie ein Bekennerschreiben oder sonstige Äußerungen. Und dadurch wurde der NSU natürlich x-fach überhöht durch die Angst in den Köpfen der Menschen wie ein Phantom, das hier mit einer Waffe rumgeht und scheinbar wahllos Leute erschießt. #00:24:45.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Das war ja das entscheidende Ziel auch dieses Terror-Trios, Angst und Schrecken in der Community letztendlich hervorzurufen. Das ist dann auch so ein Merkmal von Terrorismus, dass man nicht nur die Tat selbst vollziehen möchte, sondern dass man eben die Berichterstattung im Anschluss an die Tat, die mediale Berichterstattung und die Ängste und Emotionen, die dabei eben dann auch auftauchen, dass man die für eigene Zwecke dann nutzen möchte. #00:25:10.6#

Tom Sundermann: Richtig! Erst durch die Angst wird es eigentlich Terrorismus. #00:25:13.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Genau! #00:25:13.8#

Tom Sundermann: Der NSU zum Beispiel hat auch ganz viel Zeitungsartikel und Fernsehberichte über seine eigenen Taten gesammelt, hat die ja später auch noch verwertet. Also den dreien war ganz genau klar, welcher Teil ist hier eigentlich nur das Handwerkszeug der Terroristen, die eigentlichen Morde, und was ist das mediale Echo. #00:25:34.2#

Niklas Miyakis: Und auch Stichwort Machtdemonstration, man entwendet bei dem Polizistenmord in Heilbronn dann auch den beiden die Waffen und nimmt die mit. Also das ist ja auch noch mal irgendwie so eine Symbolik, die da für mich dahintersteht. Tom, lass uns noch mal so ein bisschen in den Gerichtsprozess etwas konkreter hineingehen. Es gibt am 1.10.2013 die Aussage von Ismail Yozgat. Und wenn ich dich richtig verstanden habe, ist das eine, die dich ja auch selber so ein bisschen emotional und nicht nur ein bisschen, sondern relativ stark emotional bewegt hat, weil es ein sehr emotionaler Auftritt auch insgesamt war. Kannst du so ein bisschen aus deiner Perspektive schildern, was da eben am 1.10.2013 vor Gericht passiert ist? #00:26:20.8#

Tom Sundermann: Ich habe meine Emotionen immer aus diesem Verfahren rausgehalten, aber wenn ich einen Tag als emotional beschreiben würde, dann ist es der. Ismail Yozgat ist als Zeuge geladen, soll aussagen über den Tag, an dem er seinen Sohn sterbend im Internetcafé in Kassel gefunden hat. Und dieser Mann ist vollkommen verzweifelt, er ist zerbrochen am Verlust seines Sohnes, an dieser Tat, die ihm und seiner Familie hier angetan worden ist. Und er kann sich absolut nicht beruhigen. Also man muss sich das so vorstellen, er sitzt da an diesem kleinen Tisch, der Richter etwas erhöht hinter der Bank, er stellt ihm Fragen, aber die Fragen, sie kommen eigentlich gar nicht bei Herrn Yozgat an. Er sieht Beate Zschäpe wenige Meter neben sich und gerät immer wieder in Wallung. Er steht auf, er dreht sich im Saal herum, er schreit Beate Zschäpe an: Warum haben Sie mein

Lämmchen getötet? Und dann beschreibt er den Moment, in dem er Halit blutend, sterbend auf dem Boden im Internetcafé gefunden hat und wiederholt immer wieder denselben Satz. Er sagt, dass sein Sohn nicht geantwortet hat. Also er schreit das mehrmals auf Türkisch durch den Saal: Er hat nicht geantwortet, nicht geantwortet. Und es hallt wider im Saal, und man merkt, da kommt jetzt pure Verzweiflung, und eigentlich kann man es gar nicht aushalten, was da unten geschieht. #00:27:52.2#

Niklas Miyakis: Und wie reagiert Beate Zschäpe darauf, während Ismail Yozgat aussagt? #00:27:55.8#

Tom Sundermann: So wie sie immer reagiert, nämlich gar nicht. Beate Zschäpes Gesicht ist eine Maske, die sich nicht verändert. Sie sitzt da, sie hört zu, man merkt auch, sie versteht, was da abgeht, aber wenn es irgendwelche Regungen gibt in ihr, dann zeigt sie sie nicht, niemals. #00:28:14.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Dieses Bild wurde, glaube ich, auch in den Medien so vermittelt. Also wenn man jetzt nicht wie du eben vor Ort warst, sondern eben zu Hause am Fernseher das beobachten musste, dann hat man auch eine sehr stumme Beate Zschäpe irgendwie in Erinnerung. Und sie hatte auch ihre Verteidigung, also sie hat dann später, glaube ich, auch selber ausgesagt. Das dauert aber etwas, am Anfang hat sie das ja eigentlich immer nur über die Anwälte verlesen lassen. Also ihre Verteidigungsrede lässt sie am 9. Dezember 2015 auch über einen Anwalt verlesen. Und die Verteidigungsrede sagt doch schon sehr viel aus, auch über die Verteidigungstaktik von Beate Zschäpe und ihren Verteidigern. Ich zitiere mal ganz kurz aus dieser Verteidigungsrede, obwohl so kurz ist es gar nicht, aber das ist doch recht interessant, würde ich sagen: „Ich konnte nicht fassen, was die beiden getan hatten. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt. Ich wusste nicht, wie ich auf diese unfassbare Tat reagieren sollte. Auf meine massiven Vorwürfe, wie man so etwas tun könne, reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass eh alles verkackt sei und dass er es zum knallenden Abschluss bringen wolle. Was er damit meinte, erfuhr ich kurze Zeit später von Uwe Böhnhardt.“ Sie geht dann ein bisschen weiter in dieser

Verteidigungsrede, dass sie angeblich die beiden Uwes gefragt hätte, warum sie die Menschen getötet haben. Sie sei entsetzt gewesen, also sie setzt sich da auch ein bisschen in die Rolle der Unwissenden. Und hat auch immer wieder betont, zumindest in dieser Verteidigungsrede, dass sie keine politische Motivation hinter diesen Taten erkannt hat. Und weiter schreibt sie dann, und jetzt zitiere ich wieder: „Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte. Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich nicht in der Lage war, auf Uwe Mundlos und auf Uwe Böhnhardt entsprechend einzuwirken, unschuldige Menschen nicht zu verletzen und nicht zu töten. Ich hatte Angst davor, dass sich beide umbringen und dass ich mit ihnen meine Familie, allen voran Uwe Böhnhardt, verlieren würde.“ Das ist doch eine sehr wichtige Quelle jetzt auch, sicherlich auch also für uns wichtige Quelle, und ein Statement, das es auch zu diskutieren gilt. Jetzt mal eine Frage an dich, Tom, du hast ja Beate Zschäpe selbst erlebt, hast du sie auch jetzt so in Erinnerung, dass sie ihre Taktik dahingehend aufbauen wollte, dass sie vielleicht so ein bisschen eine Art von unschuldiger Frau ist, die so ein bisschen die bürgerliche Fassade des Terror-Trios wachhalten sollte? War da so ein roter Faden erkennbar? #00:30:53.6#

Tom Sundermann: Na ja, der Vorwurf, dass Beate Zschäpe die bürgerliche Fassade des NSU aufrechterhalten hat, das ist ja eigentlich eher der Vorwurf an sie. Das ist das, was die Bundesanwaltschaft hier vorgebracht hat. Beate Zschäpe hat, ja, was hat sie eigentlich gesagt? Ich meine, du hast es jetzt noch mal vorgelesen, also für mich ist da eigentlich immer nur so wieder das Wort Ich widergehallt: Ich habe dies und das gemacht. Und das ist nun mal auch das Einzige, worum es ihr hier ging: Sie selbst, die Person Beate Zschäpe. Wir dürfen nicht vergessen hier bei der Aussage, 9.12.2015, da hat sie ja schon zweieinhalb Jahre Schweigen auf der Uhr, während sich einer ihrer Mitangeklagten direkt zum Prozessbeginn geäußert hat. Alles an dieser Aussage ist Taktik und nichts an dieser Aussage ist echt, um es mal so zu sagen. #00:31:39.4#

Niklas Miyakis: Und Verantwortung heißt bei ihr anscheinend, Verantwortung dafür, die Taten nicht verhindert zu haben, aber keine Verantwortung für die Taten. Also sie

übernimmt überhaupt nicht irgendwie eine aktive Rolle und versucht da irgendwie zu sagen, ich trage Mitschuld. Also diese Mitschuld wird dadurch minimiert, dass sie nur sagt, ich hab‘s nicht verhindert. #00:31:57.1#

Tom Sundermann: Ja. Also hier erkennt man ganz klar die Handschrift des Anwalts. #00:32:01.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Wollte ich auch grad sagen. Ja. #00:32:02.7#

Tom Sundermann: Denn hätte sie das gesagt, es wäre wie ein Schuldanerkenntnis. #00:32:05.3#

Dr. Hannes Liebrandt: Natürlich. (unv. #00:32:04.7#). #00:32:05.5#

Tom Sundermann: Genau. Ich meine, sieh dir nur die Tatsache an, dass sie das ja auch alles gar nicht selber gesagt hat, sondern dass ihr Anwalt das für sie verlesen hat, dass es eben handschriftlich war und nicht, dass sie das nicht persönlich geäußert hat. Das waren ja nicht ihre eigenen Worte. Sie hat sich einige Zeit später, dann noch mal viel später, selber geäußert in einem sehr kurzen, von ihr selbst verlesenen Statement. Das war vielleicht noch so das persönliche i-Tüpfelchen, um da noch mal so ein winziges bisschen Authentizität drauf zu träufeln, aber mehr auch nicht. #00:32:35.7#

Niklas Miyakis: Dann lass uns vielleicht auch zu der Urteilsverkündung kommen, der 11. Juli 2018. Lass uns in diesen Tag eintauchen. Wie hast du den erlebt? #00:32:46.7#

Tom Sundermann: Als anstrengend. Also ich habe sehr, sehr viel gearbeitet an dem Tag. Ich bin dahingekommen am Morgen und es war eine, ich glaube, die Schlange war ungelogen 100 Meter lang, so viele Leute wollten da rein. Und es gab natürlich immer noch nur diese begrenzte Anzahl von Plätzen. Ich hatte ja Gott sei Dank meinen reservierten Platz. Und ich habe im Prinzip die ganze Zeit durchgetippt auf meinem Laptop. Da war auch nicht viel Platz für meine eigenen Emotionen oder sowas, sondern wir haben das bei ZEIT ONLINE live getickert. Wir haben dann bald einen Text rausgehauen und noch einen Text. Also für uns Journalisten war es einfach Schwerstarbeit. Und dann ist man erst mal wieder so ins Reflektieren gekommen und gesagt, wow, jetzt hat das hier mal einen Abschluss gefunden. Und Beate Zschäpe, die ja, trotzdem sie nichts gesagt hat, immer irgendwie auf die Öffentlichkeit gewirkt hat, die verschwindet jetzt für lange, lange Jahre hinter Gefängnismauern. #00:33:43.4#

Niklas Miyakis: Du hast jetzt gesagt, damals warst du irgendwie auch ein Stück weit damit beschäftigt, das überhaupt einfach alles erst mal zu berichten. Aber jetzt vielleicht auch mit dem Abstand, den du mittlerweile hast, würdest du sagen, das ist ein gerechtes Urteil, was damals gesprochen wurde? #00:33:57.9#

Tom Sundermann: Ich finde, das ist so eine ganz schwere Frage. Und ich möchte mir auch gar nicht anmaßen, das zu bewerten. Weil die einzigen, die sich hier eine Bewertung erlauben könnten, sind vielleicht Juristen, aber vor allem eben die Angehörigen der Opfer, und die Menschen, die bei den Anschlägen verletzt wurden. Also nur die können sagen, dieser Prozess hat uns etwas gebracht oder er hat uns nichts gebracht. Aber das Urteil an sich, das haben die schon vor Prozessbeginn betont, ist denen gar nicht so wichtig, denen ging es immer nur um die Aufklärung. #00:34:32.3#

Dr. Hannes Liebrandt: Muss man vielleicht beim Urteil jetzt noch sagen, also sie hat ja lebenslange Haft bekommen mit dem Vermerk „Besondere Schwere der Schuld“, aber eben keine Sicherungsverwahrung. Das ist ja ein ganz wichtiger Punkt auch, ich

bin auch kein Jurist, genauso wie ihr beide nicht. Wie hat Beate Zschäpe, deiner Meinung nach, eben dieses Urteil aufgenommen? #00:34:51.2#

Tom Sundermann: Schweigend. #00:34:53.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Also du hast sie richtig beobachten können, oder? #00:34:55.4#

Tom Sundermann: Ich habe sie gesehen. Ja, ja. #00:34:56.5#

Dr. Hannes Liebrandt: Also, wenn ich mir die Perspektive so überlege in diesem Gericht … #00:34:59.4#

Niklas Miyakis: Ich sitze auf einer Tribüne, erhöht, vielleicht fünf Meter über dem Boden, und schaue so schräg quer in so einem 45-Grad-Winkel zu Beate Zschäpe runter. Und letztlich war es ja das Urteil, mit dem sie sicherlich auch gerechnet hat. Wir alle haben im Punkt Beate Zschäpe mit genau diesem Urteil gerechnet. Überraschungen gab es dann eher bei anderen Angeklagten. #00:35:21.2#

Niklas Miyakis: Lass uns aber da vielleicht auch noch mal fragen, wie die Nebenklage das Ganze aufgenommen hat? Weil die haben ja am Ende auch diejenigen vertreten, die ihre Angehörigen verloren haben. Gab’s da so etwas wie, na ja, das ist schwierig, hier die richtigen Worte zu finden, Zufriedenheit trifft es sicherlich nicht, aber ich glaube, du weißt, worauf ich hinauswill. Gab’s da irgendwie so etwas wie, das ist jetzt so für uns einigermaßen in Ordnung dieses Urteil? #00:35:51.9#

Tom Sundermann: Nein. Also ganz große Teile der Nebenklage haben eben gesagt: Nein, das ist für uns nicht in Ordnung, weil der Prozess nicht die Art von Aufklärung gebracht hat, die wir uns erhofft haben. Nämlich das Durchleuchten dieser rechtsextremen Netzwerke und das Aufspüren der Helfer und Helfershelfer, die diese Menschen mutmaßen, dass es gab. Es gibt natürlich noch große Unsicherheiten letztlich, wie groß dieses Dunkelfeld war, aber viele sind eben der Meinung, es wurde einfach nicht groß genug ausgeleuchtet, um das überhaupt sagen zu können. #00:36:26.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Und mit diesem 11. Juli 2018, also mit dem Tag der Urteilsverkündung, endet ja das Ganze noch überhaupt nicht, also weder juristisch noch politisch oder historisch. Wir haben ja gesagt, vor dem Oberlandesgericht München wurde dieser Prozess geführt und auch dieses Urteil verkündet. Es war aber nur eine mündliche Urteilsverkündung, also diese schriftliche Urteilsverkündung, die wurde erst fast zwei Jahre später dann vollzogen. Das muss man sich auch vorstellen. Und erst auf Basis dieser schriftlichen Urteilsverkündung konnte dann eben auch Revision eingeleitet werden vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Wir brauchen jetzt diese ganzen juristischen Details, Abläufe nicht besprechen, aber dieser Jahrhundertprozess, dieser Mammutprozess, endet dort nicht und zieht sich dann noch weitere Jahre und ist dadurch juristisch noch überhaupt nicht abgeschlossen. Und ich würde mal sagen, politisch und auch erinnerungskulturell beginnt das wahrscheinlich erst so richtig. #00:37:20.8#

Niklas Miyakis: Das Gerichtsurteil wird gesprochen, aber vieles der Hintergründe bleibt bis heute im Dunkeln. Wir werden das natürlich jetzt in dem Podcast auch nicht aufklären können. Aber wir sind ein Bildungs-Podcast und wir haben uns natürlich auch etwas dabei gedacht, dass wir uns dieses Thema herausgesucht haben. Hannes, an dich die Frage: Wieso ist es aus deiner Sicht so wichtig, sich auch in der politischen Bildung mit dem Thema NSU auseinanderzusetzen? #00:37:45.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Die Ereignisse um den Nationalsozialistischen Untergrund, das ist ja werdende Geschichte, das ist ja jetzt bereits schon Bestandteil von politischen historischen Debatten und wird beispielsweise auch im Schulunterricht Thema werden. Da bin ich mir ganz sicher. Am Beispiel des Nationalsozialistischen Untergrunds erkennen wir eigentlich ja auch, exemplarisch zumindest, bedeutende Entwicklungen nach 1945, Stichwort Aufarbeitung oder defizitäre Aufarbeitung des Nationalsozialismus, und auch inwiefern ideologische Bestandteile oder Denkmuster auch die Zeit überdauert haben oder sich neu auch gebildet haben, Stichwort Islamophobie, Stichwort Xenophobie. Wichtig ist auch, wir können auch erkennen am Nationalsozialistischen Untergrund, das haben wir jetzt heute nicht so in den Fokus gerückt, aber den Zusammenhang eigentlich auch zwischen wirtschaftlichem Niedergang, Unzufriedenheit, Perspektivlosigkeit, das war vor allem in der Zeit nach 1990, nach der Wende, in dem dieses Terror-Trio auch da in Jena sich zusammengefunden hat und auch über ihre Zeit berichteten und in eine gewisse Perspektivlosigkeit geraten sind. Das soll das in keinster Weise entschuldigen, aber der Zusammenhang dann auch zu politischer Radikalisierung, die eben durch diese äußeren Umstände auch herbeigeführt werden kann. Und ganz wichtig ist natürlich auch: Wir reden von einem Terror-Trio. Das heißt, wir reden über Terrorismus und wir sehen, ganz wichtig, die besondere Bedrohung des Terrorismus vor allen Dingen für Staat und Gesellschaft, gleichwohl von welcher Seite diese terroristische Gefahr eben auch kommt. #00:39:20.8#

Niklas Miyakis: Terrorismus fällt nicht vom Himmel, Radikalisierung als stetiger Prozess geht natürlich viel früher los. Auch damit setzt ihr euch mit Blick auf die Wendezeit und die drei in eurem Podcast auseinander. Ihr stellt aber auch die Frage zum Abschluss, was man dagegen tun kann, wenn sich Menschen radikalisieren. Was kannst du da auch unseren Hörerinnen und Hörern hier mit auf den Weg geben? #00:39:42.1#

Tom Sundermann: Es geht uns einfach darum, Haltung zu zeigen, sich ganz klar zu positionieren gegen Rassismus, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie man das nennt. Diese Phänomene, die man eben auch im Alltag beobachten kann,

und Dinge, die eben Quell sein und Entwicklung von etwas viel Größerem. Denn Rassismus, Radikalismus, das sind Dinge, die beginnen eben im Kleinen. #00:40:09.8#

Niklas Miyakis: Wenn wir uns so eine Metapher vorstellen, wir sind in einer vollen Kneipe und da wird jetzt sozusagen, das ist ja immer schön so gesagt, der Stammtisch, und da wird jetzt eben eine Meinung verkörpert, die rassistisch ist, dann ist es einfach ganz wichtig, auch den umherstehenden Menschen zu zeigen, das ist nicht die Mehrheitsmeinung und deswegen ist es auch ganz wesentlich, da zu widersprechen. Tom, vielen Dank, dass du dagewesen bist! #00:40:35.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Vielen Dank, Tom! #00:40:36.5#

Niklas Miyakis: Ich glaube, ich kann sagen, das Thema NSU lässt dich bis heute nicht los. Ich kann sagen, uns lässt das Thema auch nicht los, deswegen haben wir ja diese Doppelfolge zum NSU gemacht. Wir sind Historiker, bei uns geht es um die Erinnerung an die Vergangenheit, die wachgehalten werden soll. Es geht eben auch um das Nichtvergessen. Ich finde, das haben die Angehörigen der Menschen, die dem NSU zum Opfer gefallen sind, verdient. Deswegen haben wir diese Podcast-Folgen gemacht, deswegen hoffe ich, dass unsere Hörerinnen und Hörer dieses Thema wachhalten, auch da sensibel bleiben. Und deshalb bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. #00:41:11.4#

Dr. Hannes Liebrandt: Vielen Dank! #00:41:12.0#

Niklas Miyakis: Danke nochmal, Tom! Tschüss! #00:41:13.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Danke, Tom! #00:41:14.3#

Tom Sundermann: Gerne! #00:41:14.5#

Dr. Hannes Liebrandt: Ciao! #00:41:14.6#

Tom Sundermann: Ciao! #00:41:15.1#

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