Staffel 1, Folge 8

Hilfe,
wir werden verbrannt

Über dem Jahr 1970 liegt ein dunkler Schatten: Unbekannte legen im Münchner Szeneviertel Glockenbach ein Feuer. Das Feuer wütet im jüdischen Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde – 7 Menschen sterben. Es ist eines von vielen Gewaltereignissen zu jener Zeit. Auf der Suche nach den Tätern konzentriert sich die Polizei zunehmend auf palästinensische Befreiungsorganisationen. Hinweise aus der Bevölkerung deuten ein rechtsextremistisches Motiv an …

© esbeitz / Pixabay.com

Das Münchner Szeneviertel Glockenbach wird 1970 Schauplatz eines grauenvollen Brandanschlags. Unbekannte verschütten im hölzernen Treppenhaus des jüdischen Gemeindezentrums der Israelitischen Kultusgemeinde Benzin und zünden ein Feuer an. 7 Menschen sitzen sprichwörtlich in der Falle und kommen dabei ums Leben.

© Peter HPixabay 

altenheim
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Antisemitismus ist kein Phänomen der Vergangenheit!
Wir gedenken den Opfern des Brandanschlags in der Reichenbachstraße 27:
Rivka Regina Becher (59),
Meir Max Blum (71),
Rosa Drucker (59),
Arie Leib Leopold Gimpel (50),
David Jakubovicz (60),
Siegfried Offenbacher (71),
Eliakim Georg Pfau (63).

Nicht äufgeklärt

alle Folgen, Staffel 3

Die 3. Staffel führt von Oberbayern über Sizilien nach Mississippi. Es werden wieder einige der spannendsten, aber auch grausamstem Morde des 20. Jahrhunderts besprochen. Steigen Sie ein in die Welt des History Crime!

Kurz & Knackig

Folge 8: Hilfe, wir werden verbrannt!

Niklas Miyakis: Liebe Hörerinnen und Hörer, ein herzliches Willkommen zu unserer heutigen Episode, in der wir schon wieder einen ganz wunderbaren Gast haben. Bei uns zu Besuch heute ist eine Studentin. Hallo Sarah, schön, dass du da bist. #00:00:56.4#

Sarah: Hallo Niklas, danke, dass ich da sein darf. Hallo Hannes, grüß dich! #00:00:58.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Hallo Sarah, grüß dich! #00:01:00.1#

Niklas Miyakis: Ja, du kannst jetzt aus dem Nähkästchen plaudern. Warum ist Hannes Liebrandt ein guter Dozent? #00:01:04.9#

Sarah: Auf jeden ein super Dozent, aber in der Kommunikation ein bisschen verlangsamt. Man muss immer ein bisschen länger auf die E-Mail-Antworten warten. Aber das übt natürlich in Geduld. #00:01:16.1#

Dr. Hannes Liebrandt: Gemeine Frage, Niklas. #00:01:17.2#

Niklas Miyakis: Ja, er ist ein vielbeschäftigter Mensch. Das liegt wahrscheinlich an dem Podcast hier. #00:01:20.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja. #00:01:20.9#

Niklas Miyakis: Es hat aber auch einen ganz spezifischen Grund, warum du da bist. Du hast deine Zulassungsarbeit bei einem Kollegen von uns geschrieben. Es war eine gute Zulassungsarbeit oder sehr gute Zulassungsarbeit, das weiß ich nicht, ich kenne die Note nicht. Aber ich fand das Thema sehr interessant, und deshalb bist du heute hier. Du hast dich mit einer Terrorwelle beschäftigt, die die die Landeshauptstadt Bayerns, München, vor ziemlich genau 50 Jahren heimgesucht hat. Im Speziellen hast du dich mit einem Brandanschlag auseinandergesetzt. Warum der besonders tragisch und schrecklich war, darüber sprechen wir in unserer heutigen Zeitreise. Wir sind im Jahr 1970. Die Stadt steht unter dem Einfluss der zwei Jahre später stattfindenden Olympischen Spiele. Im Juli wird ein großes Richtfest der olympischen Sportanlagen gefeiert, mit über 3000 Gästen. Schon vorher, ich glaube, testweise konnten Studierende ins olympische Dorf ziehen. Die mussten wahrscheinlich dann 1972 wieder ausziehen. Im Spätsommer ist die Eröffnung des U-Bahn-Platzes Marienplatz, S-Bahnhof auch. Und es geht im Jahr 1970 um so alljährliche Trivialitäten wie die Erhöhung des Maßpreises, damals von 2,40 Mark auf 2,75 Mark. #00:02:37.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Das waren noch Zeiten, Sarah und Niklas, oder? 2,40 Mark. #00:02:40.9#

Sarah: Wahnsinn! #00:02:41.0#

Niklas Miyakis: Da konnte man sich mit 20 Mark … #00:02:42.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Die gute alte D-Mark. #00:02:43.3#

Niklas Miyakis: … noch richtig (unv. #00:02:44.2#)

Sarah: Ja, wirklich. #00:02:44.8#

Niklas Miyakis: Da haben selbst für Hannes Liebrandt 20 Mark gereicht. Versuchen wir ein bisschen ernst zu werden. Denn über dem Jahr 1970 liegt tatsächlich auch ein dunkler Schatten. Dieser Schatten begründet sich insbesondere in verschiedenen Ereignissen aus dem Februar. Über eines davon möchten wir heute im Besonderen sprechen. Wir gehen an den 13. Februar 1970. Ganz konkret um 21 Uhr betreten Unbekannte ein Gebäude im Münchner Szeneviertel Glockenbach. Dort gehen sie in das Treppenhaus, das ist ein hölzernes Treppenhaus, mehrstöckiger Komplex. Und man legt ein Feuer. Dieses Feuer breitet sich rasend schnell aus. Die Menschen sitzen sprichwörtlich in der Falle. Sieben Menschen kommen ums Leben, sechs verbrennen oder ersticken, ein Mann springt in seiner Verzweiflung aus dem vierten Stock. Bei den Opfern handelt es sich ausnahmslos um Jüdinnen und Juden. Einige von ihnen hatten die deutschen Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebt. Ein Mann wollte wenige Tage später nach Israel auswandern. Sarah, du hast dich mit diesem 13. Februar in deiner Abschlussarbeit sehr intensiv auseinandergesetzt. Vielleicht fangen wir erst mal damit an: Wo sind wir denn hier konkret in München? Wir haben jetzt gehört Glockenbachviertel. Was ist die Adresse? Was ist das für ein Gebäude? Wieso ist das kein Zufall, dass dort besonders viele Jüdinnen und Juden leben? #00:04:20.6#

Sarah: Genau. Es handelt sich dabei um das Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern. Und fälschlicherweise wird das auch immer mal wieder als Altenheim nur deklariert, aber das stimmt nicht. Sondern es war tatsächlich das Gemeindezentrum, weil es dort eben auch andere Büroräume gab und eben auch unter anderem ein koscheres Restaurant. Das war sozusagen das Zentrum der jüdischen Gemeinde der 1970er Jahre, weil sich dort das gesamte jüdische Leben abspielte. Und eben auch im Hinterhaus sozusagen die Synagoge der 1970er Jahre, die Hauptsynagoge, lag. Dementsprechend war sehr viel jüdisches Leben hier zentriert. Und besonders an diesem Freitagabend eben, weil Freitagabend ja in der jüdischen Religion der Beginn des Schabbats, also Beginn des jüdischen Feiertags und Ruhetags eigentlich ist, war das Gebäude sehr stark frequentiert mit 50 Personen. #00:05:23.2#

Niklas Miyakis: Also die sind im Grunde alle zu Hause, … #00:05:24.8#

Sarah: Genau. #00:05:25.0#

Niklas Miyakis: … weil man dann eben am Schabbat nach Hause geht, nicht mehr groß irgendwie Restaurants zum Beispiel besuchen würde. Deswegen zentriert sich das eben sehr dann auf die Wohnungen. #00:05:33.8#

Sarah: Genau, richtig. #00:05:35.6#

Niklas Miyakis: Hannes, lass uns vielleicht auch ein Stück weit darüber sprechen, wie ist so die ganz allgemeine Situation für Jüdinnen und Juden in Deutschland so hinsichtlich der Gefährdungslage im Jahr 1970? Wir kennen das ja heute, dass zum Beispiel vor Synagogen immer Polizeipräsenz gewährleistet ist. Wie ist es damals? #00:05:49.5#

Dr. Hannes Liebrandt: Damals, im Jahr 1970, wirklich bei weitem noch nicht so ausgeprägt wie heute. Das beginnt dann bezeichnenderweise nach diesem Attentat, also nach diesem Anschlag wird das mehr und mehr, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa umgesetzt. Aber die Gefährdungslage war prinzipiell da, aber es gab noch nicht diesen staatlichen Polizeischutz für Gebäude dann auch. Es war auch einer der ersten Anschläge auf jüdische Einrichtungen in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland. Ich sage extra einer der ersten, es gab im Vorfeld, also 1969 im November, genau genommen am 9. November, ein ganz wichtiges historisches Datum, Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, Fall der Berliner Mauer, aber eben vor allen Dingen auch die Reichspogromnacht am 9. November 1938. Und genau an diesem Jahrestag, im Jahr 1969, gab es eben einen Anschlagsversuch auf ein jüdisches Gemeindehaus in West-Berlin. Und dort gab es genau an diesem Tag eine Gedenkfeier extra zu dieser Reichspogromnacht. Ich spreche von einem Anschlagsversuch, weil die Bombe nicht hochgeht, die Zündkapsel muss wohl zu alt gewesen sein, aber an diesem Tag waren der regierende Oberbürgermeister von Berlin und auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin anwesend. Also es wäre ein sehr großes Attentat gewesen, wenn das geklappt hätte. #00:07:10.8#

Niklas Miyakis: Also geplanter Terroranschlag, in einem Getränkeautomat die Bombe versteckt. #00:07:15.1#

Dr. Hannes Liebrandt: Richtig. #00:07:15.3#

Niklas Miyakis: Wurde dann einen Tag später gefunden. Weiß man denn eigentlich da sofort, wer die Täter denn sind? #00:07:21.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, zumindest, wenn man dem Bekennerschreiben, also so ein Flugblatt wurde dann verteilt von der sogenannten Organisation Tupamaros

West-Berlin. Viele denken sich jetzt, was ist Tupamaros? Das ist abgeleitet aus der lateinamerikanischen Tupamaros-Bewegung, insbesondere aus Uruguay. Der Gründer, kennt man vielleicht oder hat man vielleicht mal irgendwo in einer Dokumentation mitbekommen, Dieter Kunzelmann. Der wird auch sehr wichtig für unsere heutige Folge, also den Namen schon mal merken. Und diese Tupamaros-Bewegungen, die berufen sich eigentlich auf das Konzept der Stadtguerilla, also man möchte den Kampf in die Straßen, in die Großstädte tragen. Und wie das dann später zum Beispiel auch RAF dann gemacht haben und andere, also auch Ulrike Meinhof spricht dann auch von Stadtguerilla. Und das macht die Tupamaros-Bewegung bereits schon im Vorfeld, also vor 1970. #00:08:11.2#

Niklas Miyakis: Also diese linken, sich radikalisierenden Kräfte adaptieren jetzt dieses Tupamaros-Prinzip für Deutschland. Da ist eben Dieter Kunzelmann eine ganz wichtige Figur. Es gibt aber, glaube ich, auch in München ein südliches Pendant, wenn man so will. #00:08:26.1#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja. Es gibt die Tupamaros München, und das ist jetzt für unseren heutigen Fall sehr entscheidend, weil sich nämlich der Fokus der Ermittlungen sehr schnell und sicherlich auch in Anbetracht dieses Anschlages aus dem Jahr 1969 in Berlin auf diese Tupamaros-Bewegung in München richtet. Und jetzt, wenn man an einen antisemitischen Anschlag denkt, wir haben ja gerade gehört, dass Jüdinnen und Juden dort gestorben sind, dass es ein sehr wichtiger Gebäudekomplex war, denkt man ja häufig und logischerweise auch an rechte Gruppen, an rechtsextreme Gruppen. Aber, und das ist ganz wichtig, damals gab es eben auch antisemitische Strömungen in vielfältiger Art und Weise aus unterschiedlichen politischen Richtungen, sage ich jetzt mal. Der Verdacht erhärtet sich sehr schnell in diesem Fall bei der linksextremistischen Szene. Und genau das macht eigentlich den heutigen Fall so besonders. Und deswegen, Sarah, bin ich auch noch mal echt dir dankbar, dass du den Fall uns heute mitgebracht hast. Es handelt sich um einen antisemitischen Anschlag von vermeintlich Links-Terroristen, aber das werden wir jetzt im Laufe der nächsten Zeit dann noch klären müssen. #00:09:32.4#

Niklas Miyakis: Hannes, ich glaube, da müssen wir noch mal einen kleinen Sprung zurück machen, das Ganze kontextualisieren in die Ursprünge des linken Terrorismus in Deutschland. Kannst du da ein bisschen was drüber sagen? #00:09:42.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja. Wir versuchen das mal in so einer Kürze darzustellen. Was nicht einfach ist, muss ich sagen. Aber wir hatten gesagt, also dieser Anschlag wird im Jahr 1970 verübt. Und in der unmittelbaren Vorzeit dieses Anschlages, könnte man schon sagen, war so ein erster Höhepunkt auch von dem Vietnamkrieg, von globalen Friedensbewegungen, Che Guevara wurde ermordet. Den Personenkult kennt glaube ich auch noch jeder wirklich regelrecht in Westeuropa, aber auch in den USA. Dann so die Solidarität mit diesen Bewegungen, mit diesen Ideologien auch kennzeichnen sollte. Es gab aber sehr viele und unterschiedliche Protestbewegungen, und natürlich haben sich nicht alle radikalisiert. In München selbst, wenn wir jetzt zu unserem Ort zurückkommen, hatte ich bereits schon Dieter Kunzelmann angesprochen, der ja auch die Tupamaros in West-Berlin gegründet hat. Es kommt dann noch später ein Fritz Teufel dazu, der auch für heute wichtig wird. Also es treten neue Akteure auf, die in München oder aber auch in Berlin, da gibt’s unterschiedliche Höhepunkte, sage ich jetzt mal, sich in einer Art von Kommune dann auch zusammenführen. Die Kommune als sogenannte Kommune 1. Man könnte sagen, das war eine politisch motivierte Wohngemeinschaft, die sich vor allen Dingen gegen diese traditionellen Familienmuster abgrenzen wollte. Man könnte sagen, gegen das angebliche Spießbürgertum, gegen das Ideal der Kleinfamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Sohn, Tochter, also ganz klar antikonservativ. Und man wollte sich von diesen Spießern und Langweilern dann irgendwie abgrenzen. Das mündet dann eben 1967 in dieser Kommune 1, die dann in West-Berlin gegründet wird. Und dann sukzessive aus diesem Kreis gibt es dann verschiedenste Strömungen, die sich dann auch entwickeln. #00:11:26.1#

Niklas Miyakis: Man muss vielleicht noch ganz präzise sagen, es gibt nicht nur die eine Kommune, sondern es gibt Kommunen, das Projekt revolutionärer Kommunen,

hat man das genannt. Und so die prominenteste ist die Kommune 1. Kennen wahrscheinlich die meisten auch unserer Hörerinnen und Hörer. Ganz bekannte Figuren wie Rainer Langhans, den ich zum Beispiel auch persönlich kenne. Der hat mir da auch immer ganz nette Anekdoten erzählt über die Kommune. Zum Beispiel, dass dieses so ausschweifende Sexualleben, dass das eigentlich so die Legende von einem Bild-Zeitungs-Reporter gewesen ist, der damals eben die Kommune besucht hat und da eine Reportage gemacht hat. Und der immer wieder fragt: Also hier darf theoretisch jeder mit jedem pennen? Und Rainer hat dann immer gesagt: Naja, aber darum geht’s uns eigentlich nicht, sondern es geht um die Überwindung von Besitzansprüchen. Und irgendwie blieb dann am Ende vor allen Dingen das übrig. Und zwei dieser Kommune oder Kommunarden, zwei Mitbewohner, ganz bekannte Figuren damals, Fritz Teufel, der sich selbst als Politclown bezeichnet hat, der immer wieder auch mit spektakulären Aktionen aufgefallen ist. Vielleicht erinnert ihr euch auch an diesem schon fast ikonischen Ausspruch, als er 1967 vor Gericht angeklagt war und der Richter ihn fragte, oder der Richter forderte alle dazu auf, sich zu erheben, und Fritz Teufel antwortete dann: Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient. Das kennen, glaube ich, auch viele heute noch diesen Ausspruch. Und so der Spiritus Rector, zweiter wichtiger Kopf, eben Dieter Kunzelmann. Das so ein bisschen zur Kommune. Was machen die denn da jetzt eigentlich so in den Jahren 1967? Was machen die für Aktionen, Hannes? #00:12:54.3#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, man könnte sagen, am Anfang ist so der Fokus ein bisschen so auf satirischen Aktionen. Ein Beispiel könnte man nennen, 1967, das sogenannte Pudding-Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey, der Berlin besucht hat. Und da diskutieren die so ein bisschen, wie könnte man den Protest auch logischer Weise gegen die USA äußern? Und am Ende entscheidet man sich doch eher für eine satirisch gemeinte Aktion, indem man eben Pudding in Tüten füllt und die dann rumwirft. Aber was machen die Medien damit? Das zeigt ein bisschen auch diesen Zeitgeist und die Einstellung auch gegenüber diesen Menschen. Die Bild-Zeitung, hast du gerade schon angesprochen, man titelt gleich: „Geplant! Bombenanschlag auf US-Präsident. 11 Verschwörer gefasst.“ Also wir sehen hier Übertreibungen in der medialen Berichterstattung und wir sehen aber dann auch eine zunehmende Entwicklung und auch eine zunehmende

Radikalisierung. Wie gesagt, nicht von allen Akteuren, aber doch von manchen. Und der 2. Juni 1967, der Schah besucht Deutschland und die massiven Proteste und auch die massiven Niederschlagungen dieser Proteste, eben nicht nur von Polizisten, sondern eben auch aus dem Kreis der Personenschützer des Schahs. Und dann logischerweise auch die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg führen dann auch zu einer Zeitenwende. Das war ein Weckruf. Viele schlagen dann noch radikalere Töne an. Es folgen dann Anschläge auf Kaufhäuser, die wirklich dann auch von den Protagonisten der RAF, der ersten Generation, ausgeübt werden. Gudrun Ensslin, Andreas Baader müsste man hier nennen. Die werden dann auch verhaftet. Aber die Kommune selbst ist dann auch in sich zerstritten, wir hatten das gesagt, es gab ja nicht die eine gemeinsame Linie, löst sich dann Ende 1969 auf. #00:14:41.7#

Niklas Miyakis: Also riesige mediale Aufmerksamkeit über all die Jahre. Ich glaube, als erstes ist dann Fritz Teufel aus der Kommune geschmissen worden und später dann auch Kunzelmann. Und Fritz Teufel zieht dann irgendwann nach München. Kunzelmann macht etwas anderes, der geht einen ganz anderen Weg, zumindest temporär. Der geht gemeinsam mit anderen nach Jordanien in ein Trainingscamp, der Fatah lässt sich da an Bomben, oder die lassen sich da alle am Bombenbau ausbilden, an Waffen, wie man so schön sagt. Man trifft wohl auch Jassir Arafat, da gibt’s dann auch die Legende, dass Kunzelmann sich danach die Hände nicht mehr waschen wollte, weil er so beeindruckt von diesem Menschen gewesen ist. #00:15:18.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Wir reden ja über einen antisemitischen Vorfall und wir müssen uns jetzt die Frage stellen: Woher kommt überhaupt dieser Antisemitismus, oder zumindest auch der Hass gegen oder die Verachtung gegenüber den Staat Israel? Und das haben wir noch nicht angesprochen, der Nahost-Konflikt tobt zu dieser Zeit. Der Sechstagekrieg war erst 1967 ausgebrochen, in dem Ägypten, Jordanien und Syrien gegen Israel gekämpft haben, der so genannte dritte arabisch-israelische Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Israel siegt und wird dann aber auch zunehmend in Teilen dieser linken Gruppen zum Hassobjekt, weil man sich auch

zusammen mit dem Schutzpatron beziehungsweise mit dem doch Verbündeten, wichtigen Verbündeten der USA auf Kosten der Palästinenser dort ausweitet. Und das ist so ein ganz wichtiges Fundament dieses Antisemitismus. Und umgekehrt, du hast ja gerade auch gesagt, dass wirklich die Linksterroristen nach Palästina gehen, auch ja spätere RAF-Terroristen. Und umgekehrt bietet man den Palästinensern auch logistische Hilfe in Europa an und in Deutschland zum Beispiel Unterschlupf, man hat Waffen besorgt. Also es war so ein Geben und Nehmen, so eine fruchtbare Symbiose, Beziehungen zwischen Linksterroristen in Deutschland und dann eben der palästinensischen Terroristen dort. #00:16:36.4#

Niklas Miyakis: Man kommt dann nach drei Monaten aus Jordanien zurück. Kunzelmann fährt dann wohl über den Umweg München zurück nach Berlin. In München gründet er mit dem vorhin genannten Fritz Teufel die Tupamaros München und dann eben in West-Berlin die Tupamaros West-Berlin. Du hast es angesprochen, ein ganz wesentlicher Charakterzug ist eine ganz starke Israel-Feindschaft. Auch mit der hast du dich relativ intensiv auseinandergesetzt, Sarah. #00:17:03.1#

Sarah: Mhm (bejahend). Richtig. #00:17:04.0#

Niklas Miyakis: Und du hast uns eine Quelle mitgebracht, die das zum Ausdruck bringt. #00:17:07.8#

Sarah: Ja, ganz genau. Es wird nämlich in den Briefen aus Amman, die Kunzelmann noch während seines Aufenthalts in Jordanien geschrieben hat, ganz sichtbar. Diese Briefe wurden also in einer anarchistisch-libertären Zeitschrift Agit 883 veröffentlicht. Und das würde ich jetzt einmal ganz kurz vorlesen: „Palästina ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Juden-Knacks. Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie, Zionismus zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen

Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“ Insgesamt wird in diesem Ausschnitt einfach sehr deutlich, dass hier eine starke antiisraelische Haltung eingenommen wird. Diese antiisraelische Haltung entwickelt sich eben aus den Entwicklungen des Nahostkonflikts. Israel wird eben hier auch sehr deutlich als eine imperialistische Ausdehnung betrachtet. #00:18:13.2#

Niklas Miyakis: Ich würde tatsächlich noch mal den letzten Satz wiederholen wollen, in dem es heißt unter anderem, es geht um, Zitat: „eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“ Also hier so eine ganz klare für mich im Grunde Verkehrung der Umstände, wenn das jetzt richtig formuliert ist. Also die Opfer von gestern werden zu Tätern von heute, kann man sagen. #00:18:42.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja. Man hat den Staat Israel in dieser Sichtweise als, du hast es richtig gesagt, Sarah, auch als imperialistische Macht bezeichnet, die zum Teil vielleicht auch fremdgesteuert ist durch die USA und die nun auf Kosten der Palästinenser und rigoros expandiert und die eigenen Machtinteressen ausübt. #00:19:02.1#

Niklas Miyakis: Dann lasst uns gedanklich wieder direkt zum Februar 1970 reisen. Wir haben jetzt geklärt, dass es in Teilen der linken Szene eine Verachtung gegenüber dem Staat Israel gibt. Wir haben besprochen, dass eine Gruppe um Kunzelmann nach Jordanien reist und sich dort ausbilden lässt von den Palästinensern. Es gibt also eine ganz klare Verbindung zwischen diesen beiden Gruppierungen. Und dann, Sarah, das wird ganz wichtig, wird der Nahostkonflikt ja gewissermaßen auch nach Europa, nach Deutschland, nach München gebracht. Was passiert da ganz konkret unmittelbar vor und nach dem Anschlag auf das Gemeindehaus? #00:19:43.6#

Sarah: Am 10. Februar 1970, also dem damaligen Faschingsdienstag, und auch nur drei Tage vor dem Anschlag in der Reichenbachstraße kommt es zu einer versuchten Flugzeugentführung in München-Riem, also Flughafengelände München-Riem, von einer Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al. Dabei wird ein Passagier, und zwar Arie Katzenstein, durch die Explosion von einer Handgranate getötet und 11 weitere zum Teil sehr, sehr schwer verletzt. #00:20:08.5#

Niklas Miyakis: Also der wirft sich da irgendwie auf die Handgranate drauf, um die anderen zu retten, und kommt dabei ums Leben. #00:20:14.1#

Sarah: Ganz genau. Und er fängt mit seinem Körper auch eben die meisten Granatsplitter auf, sodass er die anderen dadurch einfach sehr gut schützen kann. Aber es werden eben trotzdem 11 weitere Passagiere verletzt. Und der große Skandal ist eigentlich darum, dass die drei Täter, die tatsächlich gefasst werden können, einer palästinensischen Terrororganisation angehören und die aber trotzdem nach Palästina wieder abgeschoben werden sollen als eine diplomatische Geste, in der Hoffnung, den Konflikt im Nahen Osten zu beruhigen. #00:20:45.2#

Dr. Hannes Liebrandt: Du hast ja Skandal gesagt. Also man muss sich das mal wirklich vorstellen. Da sind drei Terroristen, die nachweislich hier ein Attentat machen und aus politischen Motiven, um eben den Nahostkonflikt zu entspannen, werden die ohne Verurteilung und ohne auch Anklage wieder, in Anführungszeichen, „nach Hause geschickt“. Sarah, wir haben letzte Woche hier auch einen tollen Gast mit Patrizia Schlosser über RAF-Terroristen gesprochen und da ging auch mal die Frage darum, über Amnestie, soll man eben ehemaligen RAF-Terroristen Amnestie gewähren? Wir haben da auch ein bisschen kontrovers diskutiert. Und da haben wir gemerkt, wie schwer es dem Staat fällt, letztendlich mit Amnestieangeboten. Ich will das jetzt nicht vergleichen, das lässt sich auch nicht vergleichen, aber hier ist es dann doch wirklich schon erstaunlich, dass aus politischen Beweggründen die Leute dann irgendwie wieder nach Hause geschickt werden. Oder finde nur ich das jetzt hier so skandalös? #00:21:34.7#

Niklas Miyakis: Nein, das geht sogar noch weiter. Es gibt ja dann noch einen vereitelten Terroranschlag, wenige Tage nach dem Anschlag auf das Gemeindezentrum. Also wir haben in Riem diese versuchte Entführung im Transitbereich, Arie Katzenstein kommt ums Leben. Das hast du ja jetzt gerade skizziert. Dann haben wir das Gemeindehaus in München, und wenige Tage darauf wieder in Riem, wieder drei Palästinenser, die wieder versuchen, eine Maschine zu kapern, werden mit Waffen und Bombe im Gepäck festgenommen. Und auch diese drei werden abgeschoben. Sarah, vielleicht noch ganz wichtig, es kommt dann ja zu einem sehr tragischen Ereignis, es wird eine weitere Maschine dann auch wirklich erfolgreich gekapert. Kannst du da ein bisschen was zu erzählen? #00:22:20.6#

Sarah: Tatsächlich ist das der Höhepunkt von dieser Anschlagsserie, die wir im Februar 1970 verzeichnen können, als eine Swissair Maschine, die von Zürich nach Tel Aviv reiste, durch eine Bombenexplosion im Frachtraum abstürzt. Dabei sterben 47 Menschen. #00:22:35.9#

Niklas Miyakis: Hier fast 50 Todesopfer, sehr dramatisch. Der Funkverkehr ist aufgezeichnet, kann man sich in einer Dokumentation anschauen. Nimmt einen auch sehr mit, wenn man das hört. Also die Verzweiflung dann auch am Ende des Piloten. Lasst uns das vielleicht an dieser Stelle noch mal ein Stück weit zusammenfassen für unsere Hörerinnen und Hörer, weil sich möglicherweise, wenn wir jetzt wieder zurück an unseren Tatort im Glockenbachviertel in München zurückgehen, da zwei potenzielle TäterInnen-Gruppen ableiten lassen. Also erstens die palästinensischen Terroristen, die eben genau in dieser Zeit eine Reihe von Anschlägen verüben. Vielleicht auch mit Unterstützung linker Terroristinnen und Terroristen, zum Beispiel Tupamaros oder möglicherweise, wenn wir jetzt sagen, Vorbild West-Berlin und der Anschlag, waren es diese deutschen Terroristinnen und Terroristen selbst. Das versucht man dann natürlich auch relativ schnell zu prüfen. Es wird eine Sonderkommission gegründet, die ist über 80 Kopf stark. Es wird eine riesige Belohnung damals ausgerufen, 100.000 D-Mark. Hannes, ich habe das ja jetzt schon in meiner Erzählung ein bisschen tendenziös auch schon angedeutet, aber kann man

sagen, genau auf diese TäterInnen-Gruppen, potenziellen TäterInnen-Gruppen konzentrieren sich dann auch die Ermittlungen? #00:23:55.2#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, das könnte man sagen. Aber die Polizei war doch auch ein bisschen ratlos am Anfang. Wir kommen jetzt wirklich in die genaue Szene, wie die Ermittlungsbehörden dann auch vorgegangen sind, insbesondere diese Kette an Gewaltereignissen, die wir jetzt gerade angesprochen haben. Und die möglichen Zusammenhänge auch oder Verbindungen innerhalb dieser Ereignisse war eine ganz große Herausforderung für die Ermittlungsbehörden damals. Was findet man erst mal am Tatort? Wir gehen jetzt erst mal die Hard Facts durch. Man findet einen 20-Liter-Benzin-Kanister, der nachweislich ausgeschüttet wurde, um das Feuer zu legen. Man hat auch Backpapier gefunden zum Anzünden. Und die Sonderkommission, die du gerade angesprochen hast, die prüft nun jetzt erst mal basierend auf diesen zwei möglichen oder potenziellen TäterInnen-Gruppen, erst mal 300 bayerische Ausländervereinigungen, die es damals gab. Die werden erst mal durchsucht dahingehend, ob irgendeine Verstrickung vorhanden war. 30 galten auch als politisch extrem. Manche sind durch Flugblätter aufgefallen, die auch in diesem Kontext nachträglich als radikal zu werten sind. Der Fokus der Ermittlungen liegt eben auf diesen antiisraelischen Organisationen, zum Beispiel das Münchner Palästina Komitee, die hatten da rund 100 Mitglieder gehabt. Und auch die Generalunion palästinensischer Studenten, also man hat auch an den Universitäten potenzielle Verschwörer oder Mitwisser vermutet. Und natürlich, und das ist jetzt der zweite Komplex, eben auf die Tupamaros in München, also auf die Linksterroristen. Es gab hunderte Hinweise aus der Bevölkerung, denen man auch noch nachgehen musste. Also man muss sich das vorstellen, vor welcher Herakles-Aufgabe die da eigentlich standen. #00:25:34.2#

Niklas Miyakis: Gibt’s denn da, Sarah, auch irgendwelche Bekennerschreiben aus irgendeiner Richtung, mit Blick auf diese verschiedenen Taten, die wir jetzt vorhin besprochen haben? #00:25:44.0#

Sarah: Ganz interessant ist eben da in der Hinsicht, dass man weiß, dass die palästinensische Terrorgruppe Action Organization for the Liberation of Palestine, dass die sich zur versuchten Flugzeugentführung in München-Riem bekannt haben. Allerdings eben nicht zu dem Brandanschlag in der Reichenbachstraße. Allerdings gibt’s dann auch wiederum ein paar Wochen später, am 4. März 1970 geht im deutschen Konsulat in Kuwait ein handschriftliches Bekennerschreiben dieser Action Organization for the Liberation of Palestine, ein Bekennerschreiben ein. Dieses Bekennerschreiben sagt, man habe die Tat von München mit Hilfe junger Deutscher ausgeführt. #00:26:26.9#

Dr. Hannes Liebrandt: Und das hat die Ermittlungsbehörden ja natürlich noch vor neue Herausforderungen gestellt. Also diese Widersprüchlichkeit auch, dass man am Anfang, wie du ja gerade gesagt hast, irgendeine Verantwortung explizit für den Anschlag im Glockenbachviertel von sich weist, aber wenige Zeit später dann auch ein Bekennerschreiben eingeht. Wir wissen, dass auch in heutigen terroristischen Anschlägen, dass Bekennerschreiben ja auch niemals sofort als authentisch gewertet werden. Nämlich viele wollen sich dann auch schmücken oder brüsten damit, weil man dann irgendwie in der Nachschau merkt: Oh! Das wäre vielleicht für unsere Ziele doch gar nicht so schlecht, wenn wir dahinterstecken würden. Das hat die Ermittlungsbehörden noch vor neue Herausforderungen gestellt damals. #00:27:03.8#

Niklas Miyakis: Ganz interessant ist ja auch mit Blick auf die Medien, für die Bild-Zeitung ist ja auch relativ klar, wer es gewesen ist. Die spannt nämlich jetzt den ganz großen Bogen zum Anschlag auf das eigene Verlagshaus, 1968 ist das ja schon gewesen, und zieht jetzt da sozusagen eine Verbindung bis in das Jahr 1970 hinein und sagt: Das war ganz klar die westdeutsche Studentenbewegung. #00:27:26.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, ja, die gute alte Bild-Zeitung. Ohne wirklich die Ermittlungen auch abzuwarten, startete man eine regelrechte Kampagne und beeinflusste auch so die öffentliche Meinung. Also man trat als Zeitung, als Verlag,

wirklich als politischer Akteur auch auf. Und explizit die Bild am Sonntag hat sich da auch hervorgetan mit entsprechenden Schlagzeilen, die dann wirklich auch in richtige Hetzjagden, könnte man sagen, dann mündeten. Ich zitiere mal aus einer dieser Schlagzeile: „Gestern kämpfte man radikal für Castro und Che Guevara, und heute brutal für El Fatah. Vorgestern brannte ein Zeitungswagen und heute verbrennen Juden in einem Altersheim. Soll das so weitergehen?“. Also wir sehen hier, dass eine Offenheit gegenüber den Ermittlungsergebnissen überhaupt nicht zu erwarten war von der Bild-Zeitung. Und die Tupamaros München, die sich ja unmittelbar auch angesprochen gefühlt haben muss, schreibt dann in einem Flugblatt vom 20. Februar 1970, also auch direkt in dieser Zeit: „Man wird versuchen, uns auch den Altersheimbrand in die Schuhe zu schieben. Lasst euch gesagt sein, wir treffen keine Unschuldigen. Diesen neuen Reichstagsbrand im Altersheim können nur Leute gelegt haben, die daran interessiert sind, die Hexenjagd auf die Feinde des US-zionistischen Imperialismus zu eröffnen.“. #00:28:45.2#

Niklas Miyakis: Okay! Also man weist das von sich, aber ich finde, wenn man auch so die Sprache sich da anguckt, da wird dann von Hexenjagd gesprochen. Das ist schon auch ein Stück weit perfide, weil man sich ja hier selbst als Opfer inszeniert. Sehr erhellend ist, Hannes, es gibt in dieser Zeit dann auch ein Fernsehinterview des abgetauchten Fritz Teufel, der ist wegen anderer Delikte eben abgetaucht, also es liegt ein Haftbefehl vor und er geht dann in den Untergrund, wie man das ja so schön nennt. Und da gibt er dann ein Fernsehinterview für die Sendung Monitor. #00:29:15.1#

Dr. Hannes Liebrandt: Genau. Und diesen, sagt er doch einen relativ prägnanten Satz, der auch alle Ermittlungen und Mittlerbehörden irgendwie so ein bisschen in Aufregung versetzen musste: „Ich bin mir sicher, dass mir noch einige Jahre Gefängnis bevorstehen wegen der Sachen, die in Zukunft laufen werden.“. #00:29:32.8#

Niklas Miyakis: Also er wird dann irgendwie noch mal gefragt vom Reporter wegen der Sachen, die Sie getan haben, und dann sagt er, nein, wegen der Sachen, die in Zukunft laufen werden. #00:29:39.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Und er wird dann auch verhaftet. #00:29:41.5#

Niklas Miyakis: Später, ja. Du musst vielleicht noch dazusagen, damit wir nicht zu viel verwirren und nicht jetzt hier eine falsche Fährte sozusagen legen: Dieses Interview wird nach dem Anschlag auf das Gemeindehaus aufgenommen, am 16. Februar. Das muss man, glaube ich, auf jeden Fall dazusagen. Also er deutet hier jetzt nicht an … #00:29:59.3#

Dr. Hannes Liebrandt: Unbedingt. Aber die Veröffentlichung geht genau in eine Zeit, in der die Ermittlungen auf Hochtouren laufen. Und deswegen schaukelte sich das alles so gegenseitig hoch. Man muss sich so das ein bisschen chaotisch sicherlich auch vorstellen. Zudem haben da auch noch Hunderte aus der Bevölkerung angerufen und wollten dann auch noch ihre möglichen Hinweise weitergeben und so weiter. Ja. Teufel wird verhaftet am 12. Juni 1970, eigentlich aufgrund anderer Vorwürfe. Und auch Kunzelmann, haben wir ja auch schon mehrfach heute angesprochen, wird eben auch wenige Zeit später verhaftet. Belege für Kontakte, also mit Palästinensern, beziehungsweise auch Überlegungen zum Ausspähen von Flughäfen hat man gefunden, aber eben keine konkreten Hinweise oder gar Beweise auf diesen Münchner Brandanschlag. Und das ist eben ganz wichtig. Es gibt Indizien, es gibt auch sicherlich Motive, aber man konnte beiden, und auch der Organisation dahinter, Tupamaros München, eben nichts nachweisen. Der Fall bleibt also mysteriös. #00:31:00.5#

Niklas Miyakis: Und Sarah, die Ermittlungen werden dann eingestellt, aber es kommt nach über 40 Jahren dann wieder, zumindest vermeintlich, Bewegung in den Fall? #00:31:09.6#

Sarah: Es ist superinteressant, weil tatsächlich die Ermittlungen sehr bald eingestellt werden. Also tatsächlich schon im April 1970 wird da die Ermittlungsakte geschlossen, sag ich jetzt mal, und tatsächlich erst nach über 40 Jahren wird dann das Ganze wieder hervorgekramt, und zwar im Jahr 2013. Also wirklich erst vor sieben Jahren wird das Ganze noch mal neu beleuchtet. Und die Bundesanwaltschaft nimmt die Ermittlungen noch mal auf, und zwar mit der Begründung, dass der Anschlag eben womöglich gegen Juden insgesamt gerichtet war. Und schon zu diesem Zeitpunkt allerdings fehlen eben bestimmte Beweisstücke. Also wir haben ja schon den Benzinkanister erwähnt, und zwar war der von einer bestimmten Marke, und der ist eben abhandengekommen, genauso wie Fingerabdrücke, die gesichert worden waren auf Klebestreifen, die man auf diesem Kanister entdeckt hatte. Allerdings waren die auch eben nicht mehr auffindbar. #00:32:02.8#

Niklas Miyakis: Ja. Die haben irgendwie ihre Asservaten nicht im Griff. Das ist ja ein ähnliches Phänomen wie beim Oktoberfest-Attentat, wo ja dann eine ganze Hand verschwindet. #00:32:10.6#

Dr. Hannes Liebrandt: Da wundert man sich auch echt immer wieder … #00:32:12.3#

Sarah: Wie das dann passieren kann. #00:32:13.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Das muss doch protokolliert werden, gut, das ist jetzt leicht hier aus unserer Warte das zu besprechen, aber hört man immer wieder bei solchen Ermittlungen, dass da Jahre später dann irgendwie ein Fall wieder eröffnet wird und auf einmal sind irgendwelche wichtigen Beweisstücke verlorengegangen. #00:32:26.9#

Sarah: Trotzdem sagt die Bundesanwaltschaft aus, dass es eine sehr heiße Spur gibt dieser neuen Ermittlungen, und zwar konzentriert sich alles auf die Aktion Südfront. Und diese Gruppierung ist im Juni 1969 in Erscheinung getreten, erstmals in München, und sie ist entweder Vorläufer oder eben Ableger der Tupamaros München. Also die stehen auch in sehr engem Kontakt mit dieser Gruppierung, die wir jetzt schon sehr viel auch besprochen haben. Und laut der Münchner Staatsanwaltschaft hatten eben Mitglieder der Aktion Südfront durch die Arbeit in einer ganz bestimmten Firma Zugriff auf Utensilien und Werkzeug, das eben in dieser Brandstiftung im Februar 1970 verwendet wurde. Allerdings gibt es eben keine wirklich handfesten Beweise, weshalb niemand überführt werden konnte, und es bleibt eben weiterhin bei einem Verdacht. #00:33:17.1#

Niklas Miyakis: Hannes, vielleicht an dich da auch die Frage, wir haben jetzt sehr viel (unv. #00:33:20.1#) mögliche linke TäterInnen-Gruppen gesprochen. Gibt’s denn eigentlich auch irgendwelche Indizien oder Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund? #00:33:29.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Ja, das habe ich am Anfang des heutigen Podcasts auch schon gesagt, und es werden sich viele Zuhörerinnen und Zuhörer auch denken: Hey! Da müssen doch vielleicht auch Rechtsextreme dahinterstecken. Das ist ein Anschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus in der Nachkriegszeit, das hat einen klaren antisemitischen Charakter. Und deswegen gibt es sicherlich ein prinzipielles Motiv, wenn man an klassischen Rechtsextremismus zumindest denkt, aber eben keine Indizien oder Beweise. Es gab in der Zeit ein anonymes Schreiben, das einen NPD-Funktionär bezichtigt hat, irgendwie in diesem Anschlag verwickelt gewesen zu sein, aber dieses Schreiben wurde zweifelsfrei dann als Fälschung dargestellt. Also es wurde ganz klar gesagt, es muss sich um eine Fälschung handeln. Also Motiv sicherlich, Beweise nicht. #00:34:14.8#

Niklas Miyakis: Und dieses gefälschte Schreiben wird in einer sehr interessanten Dokumentation über die Anschlagsserie in München 1970 dann auch in einem ganz

brisanten Kontext gesetzt. Und zwar geht’s da um die Aussage eines späteren RAF-Kronzeugen, also eines Mitglieds der Roten Armee Fraktion, der dann eben später aussagt, und der erinnert sich an ein Gespräch zwischen Gudrun Ensslin, hatten wir ja vorhin schon, erste Generation RAF, sehr bekanntes Mitglied, Freundin von Andreas Baader, und die hat sich unterhalten mit Irmgard Möller, auch die war in der RAF, war übrigens eine gewisse Zeit auch die Lebensgefährtin von Fritz Teufel. Und da heißt es, dass Ensslin ihr so ungefähr erklärt haben soll, seid mal froh, dass die damals versucht haben das den Nazis in die Schuhe zu schieben, wenn ich das jetzt richtig erinnere. Und daraus wird in der Dokumentation und auch bei verschiedenen Politologen, die sich mit dem Fall beschäftigt haben, eben so ein Stück weit auch konstruiert, dass es möglicherweise eben die Tupamaros beziehungsweise eben linke Terroristinnen und Terroristen waren. Was würdet ihr abschließend sagen? Es gibt so ganz leichte Indizien. Wir haben natürlich das in unserer Erzählung heute auch ein Stück weit in diese Richtung konstruiert, aber es gibt eben keine anderen Indizien. Deswegen blieb uns eigentlich auch nicht viel anderes übrig. Aber was würdet ihr zusammenfassend sagen? #00:35:42.6#

Sarah: Es ist einfach ein ganz schwieriger Fall, meiner Meinung nach, weil einfach alles oder vieles einfach unklar bleibt, weil eben klare Indizien fehlen, weil wir einfach nicht ganz genau festlegen können, wer war der Täter und auch aus welchem Grund wird eben dieses Ziel sich ausgesucht. Und ganz interessant finde ich auch vor allem, dass ich bei meiner Recherche über viele Gruppierungen gestolpert bin. Viele extremistische Gruppierungen, die sich ganz klar gegen dieses Attentat oder gegen eine Mitwirkung bei diesem Attentat ausgesprochen haben, weil es in den Medien auch so hochgepuscht wurde. Deswegen sehen wir in den Zeitungen und den Zeitungsausschriften von den 1970er Jahren eben auch nur Darstellungen oder Überschriften, die sich auf ein Altenheim beziehen. Also nicht auf das Gemeindehaus, nicht auf das Gemeindezentrum, sondern tatsächlich nur auf das Altenheim. Also hier sieht man auch diese hoch emotionalisierte Tat, die Opfer, die einfach alte Menschen sind, wehrlose Menschen sind. Deswegen haben viele von diesen extremistischen Gruppierungen eben sich auch so stark davon distanziert, weil es einfach so einem nicht in den Sinn kam, dass man so etwas machen würde. Also das stand dann wirklich außerhalb von allem Möglichen. #00:36:52.7#

Dr. Hannes Liebrandt: Und die Frage stellt sich mir auch. Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, dass es vielleicht so eine Art von politischem Motiv gibt, dass es so einen politischen Antisemitismus vielleicht auch in dieser Szene gab. Aber ist das dann wirklich auch mit der Tat dahingehend vereinbar, weil man ja die israelische Politik verabscheut hat oder auch kritisiert hat, dann aber im Gemeindehaus mit Altenheim zu gehen und dort irgendwie ein Feuer zu entfachen, in dem dann mehrere unschuldige Männer und Frauen sterben? Da stellt sich die Frage, die du gerade angesprochen hast. Und wenn man noch weiter in diese Täterschaft oder mögliche Täterschaft im linksterroristischen Spektrum geht, und die Tupamaros haben eigentlich immer ein Bekennerschreiben hinterlassen, beispielsweise auch in Berlin, also in diesem Anschlagversuch davor. Jetzt nicht, aber es gibt zumindest Indizien, es gibt auch eine prinzipielle Motivlage, und hatte ich ja gerade skizziert, aber wir haben eben keine konkreten Beweise. Aber was mir doch ganz erstaunlich ist, mich wundert das einfach, dass so eine Tat überhaupt nicht aufgedeckt werden kann. Also ich stelle mir das jetzt vor, Glockenbach, ihr müsst euch das so vorstellen: Wir befinden uns wirklich im Münchner Szeneviertel, heute sehr viele Bars, Restaurants, damals aber eben auch schon. Und da spazieren da Leute oder ein Mensch mit einem 20-Liter-Kanister dahin und legt da irgendwie ein Feuer und geht dann wieder auch raus. Also das ist doch sehr schwierig das nachzuvollziehen und das fällt mir auch echt schwer, das in meinen Kopf irgendwie rein zu bekommen, wie das nicht aufgeklärt werden konnte. #00:38:27.0#

Niklas Miyakis: Und besonders eben dann noch bekommt es ja diese dramatische Tragik dadurch, dass dann eben Menschen, die die Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebt haben, dort in den Flammen umkommen. Das ist so das, was ich besonders schlimm finde. Also jeder Terroranschlag ist schlimm, ich will das gar nicht irgendwie werten, aber das ist natürlich, was einen dann auch noch mal ein bisschen zurücklässt kopfschüttelnd. #00:38:52.4#

Dr. Hannes Liebrandt: Wir müssen da leider in diesem Unklaren auch bleiben. Wir haben ja nur die Möglichkeit, jetzt aus der Retrospektive irgendwie zu beurteilen,

welche Indizien, welche Beweise und welche Quellen gibt es. Und das haben die damals nicht geschafft und wir werden es leider heute auch nicht schaffen. #00:39:04.5#

Niklas Miyakis: Das Verbrechen ist nicht aufgeklärt, aber gerade, weil es so tragisch ist, ist es aus meiner Sicht und wahrscheinlich sind wir uns da alle einig, so besonders wichtig, eben daran zu erinnern an diese schreckliche Tat zu gedenken. Sarah, damit hast du dich sehr ausführlich auseinandergesetzt auch in deiner Arbeit. Wie ist denn die Situation in München? #00:39:23.5#

Sarah: Es ist wichtig, hierbei in zwei unterschiedliche Gruppen zu unterscheiden. Weil wir haben einmal die Stadt München als Stadt und dann haben wir andererseits die jüdische Gemeinde, die natürlich einen ganz anderen Umgang mit dieser Erinnerung pflegt und pflegte natürlich auch. Und wenn man jetzt eben die Erinnerung an dieses Verbrechen innerhalb der jüdischen Gemeinde betrachtet, kann man auf eine Gedenkwand hinweisen, und zwar befindet sie sich im Innenbereich des Neubaus des Gemeindezentrums. Das wurde bereits 1972, also zu Beginn der Olympischen Spiele sollte das dann auch schon fertig sein und war dann auch schon fertig. Und in diesem Innenbereich hat man an eine Wand, das ist eine Gedenkwand, hat man installiert, und an dieser Wand erinnert man einerseits an die Opfer des Anschlags von 1970 und andererseits eben auch an die Opfer der Schoah. Und leider ist außerhalb des Gemeindezentrums, also so, wie man es irgendwie kennt, irgendwie vielleicht außen an der Hausfassade oder so, da finden wir, also bei der Reichenbachstraße 27, da finden wir leider keine Erinnerungstafel oder irgendeinen Hinweis, dass hier dieses Verbrechen stattgefunden hat und dass hier sehr viele Menschen ums Leben gekommen sind, getötet wurden. Und da dieser Innenbereich in der Reichenbachstraße 27 auch heute noch nicht öffentlich zugänglich ist für die Münchnerinnen und Münchner, die nicht dem jüdischen Glauben oder dieser Gemeinde der jüdischen Gemeinde Münchens angehören, haben sie eben auch keinen Zugang zu dieser Erinnerungswand, zu dieser Gedenkwand, und können insofern das gar nicht in ihre eigene Geschichtskultur, in ihre eigene Erinnerungskultur mit aufnehmen. Also da haben wir eine ganz klare

Lücke in München im Gedenken der Stadt an dieses Ereignis. Und von offizieller Seite der Stadt kommt es tatsächlich erst im März 2018, das muss man sich mal vorstellen, richtig, richtig lange und auch erst jetzt, wir sind 2020 aktuell, vor zwei Jahren kam erst die offizielle Forderung des Stadtrats tatsächlich, dem Gedenken an die Opfer öffentlich Raum zu geben. Und ein wichtiger Meilenstein war dieses Jahr im Streben nach der Erinnerung im öffentlichen Raum des Anschlags von 1970, eben der Erinnerungscontainer. Der wurde von Februar, also zum Zeitpunkt quasi von vor 50 Jahren, als dieser Anschlag passierte, von Februar bis März installiert auf dem Gärtnerplatz. #00:41:46.9#

Niklas Miyakis: Und das war eine Initiative des Kabarettisten Christian Springer, also auch in erster Linie dann gar nicht vom Stadtrat. #00:41:54.9#

Sarah: Genau. Also es war tatsächlich ein Zusammenspiel selbstverständlich. Er hat dann in der Kooperation gearbeitet mit sehr vielen Instanzen, eben unter anderem die Stadt München, aber natürlich dann auch der Israelitischen Kultusgemeinde heute und dann auch das Jüdische Museum München. Aber es war die Idee von Kabarettist Christian Springer, der ja auch in München sehr aktiv ist. Und das war eben eine Gedenkaktion zum 50. Jahrestag des Ereignisses. Und man kann sich das Containerprinzip ja so vorstellen, wer es nicht gesehen hat in München, es war ein sechs Meter langer Container, und der wurde eben in ein temporäres Gedenkmal umgebaut, indem man mit Schwarz-Weiß-Bildern das Ganz eingekleidet hat und auch innendrin ausgebaut hat mit Informationen zum Anschlag selbst und zu den Personen, die dort ums Leben kamen. Und insgesamt ist jetzt auch in Arbeit, dass eben die Erinnerung an den Anschlag und seine Opfer eben auch permanent in der Erinnerungskultur aufgenommen wird. Und zwar wird aktuell die Synagoge in der Reichenbachstraße, die es auch heute noch gibt, die wird aktuell umgebaut. Und das Jüdische Museum sowie der Verein der Synagoge Reichenbachstraße arbeiten zurzeit an einer permanenten Ausstellung, die dann in Reichenbachstraße 27 eben in diesem Innenbereich und insgesamt dieses ganze Vordergebäude von Reichenbachstraße 27 wird aktuell umgebaut, sodass eben die Erinnerung an diese

Ereignisse, an die Opfer, eben einen permanenten Platz in der Münchner Erinnerungskultur erhält. #00:43:21.3#

Dr. Hannes Liebrandt: Als du das jetzt gerade so geschildert hast, hatte ich sofort so ein Déjà-vu-Erlebnis. Als du so diese zögerliche Aufarbeitung und auch das zögerliche Erinnern an diese Tat so ein bisschen beschrieben hast, das ja nicht neu ist, auch nicht neu für die Stadt München, also man muss da nur daran erinnern, wie lang sich auch und wie schwer sich die Stadt getan hat, an den Nationalsozialismus zu erinnern. Also Hauptstadt der Bewegung München, Ursprungsort des Nationalsozialismus, teilweise auch jahrzehntelang keinerlei Erinnerung an wichtigen Orten in München am Königsplatz beziehungsweise dort, wo das Braune Haus stand, die ehemalige Parteizentrale der NSDAP. Es ist wichtig solche Erinnerungszeichen, solche Initiativen sind total wichtig, aber sie ersetzen eben nicht die brennenden Fragen, die die Angehörigen bis heute wahrscheinlich noch umtreibt. Denn wer war dafür verantwortlich und warum haben sie das gemacht? Also warum mussten diese Menschen sterben? Das ist ganz wichtig, das können wir heute nicht klären. Wir haben jetzt schon viel über Gegenwart auch gesprochen. Das ist ja auch ganz wichtig, dass diese Ereignisse zwar historisch betrachtet abgeschlossen sind, aber jetzt in dem Fall von der Aufarbeitung noch nicht wirklich. Niklas, was würdest du sagen, was lernen wir da heute daraus? #00:44:31.5#

Niklas Miyakis: Ich würde zunächst auch noch mal sagen wollen, dass ich das Gefühl habe, dass München mittlerweile viel tut. Es muss ja auch so ein Stück weit immer aus der Gesellschaft kommen, aber der Stadtrat ist da auch sehr aktiv. So wollte ich vorhin bitte nicht verstanden werden. #00:44:43.5#

Dr. Hannes Liebrandt: Genau. In letzter Zeit ist es deutlich besser geworden. Aber genau in der Zeit, in den 70er Jahren, 60er Jahre, da hat man doch eine sehr zögerliche Politik auch gefahren. #00:44:50.2#

Niklas Miyakis: Da hat man, klar, … #00:44:49.2#

Dr. Hannes Liebrandt: Das muss man sagen. #00:44:51.2#

Niklas Miyakis: Das würde ich sofort unterschreiben. Aber es gibt ja auch so Initiativen wie „München ist bunt“, die ja auch mit Stadtrats-Mitgliedern zum Teil, die da aktiv sind. Also wichtige Initiativen, da wird viel getan. Deswegen bin ich guter Dinge, dass man eben, und das war ja auch so ein bisschen die Intention unserer heutigen Folge, dass man dieses Verbrechen 1970 nicht vergessen wird, dass es einen festen Platz, das hast du ja auch gut gesagt, Sarah, in der Erinnerungskultur der Stadt München bekommt. Wir haben heute auf jeden Fall auch gelernt, welche antisemitischen Verirrungen möglich sind, von Seiten linker Terrororganisationen. Wir wissen nicht, ob sie im Zusammenhang mit 1970 und München zu nennen sind, aber sie sind auf jeden Fall im Zusammenhang mit 1969 und West-Berlin zu nennen. Wir haben aus der Quelle von Dieter Kunzelmann vorgelesen. Für mich ist das Antisemitismus, das sage ich in aller Deutlichkeit. Insofern haben wir auch so ein Stück weit über diese Verirrungen etwas gelernt. Ich finde, das bringt der von dir genannte Kabarettist Christian Springer ganz gut auf den Punkt, der hat nämlich in der Süddeutschen Zeitung einen Aufruf zur Aufklärung gestartet: „Täter, Mitwisser, redet jetzt, ruft an!“ Wir haben vielleicht heute auch so ein bisschen gesehen, dass das leider am Ende unwahrscheinlich ist, dass das passieren wird. Umso wichtiger ist es eben, dass man diesen Anschlag nicht vergisst. Deswegen würde ich gern damit enden, dass wir die Namen der Opfer einfach nochmal verlesen, damit diese Menschen nicht vergessen werden: Regina Rivka Becher, Max Meir Blum, Rosa Drucker, Leopold Arie Leib Gimpel, David Jakubowicz, Siegfried Offenbacher, Georg Eljakim Pfau. Damit belassen wir es für heute. Tschüss! #00:46:40.3#

Dr. Hannes Liebrandt: Bis zum nächsten Mal! Tschüss! #00:46:41.5#

Niklas Miyakis: Danke, dass du da warst, Sarah! #00:46:42.0#

Sarah: Tschüss! Danke. #00:46:42.8#

Dr. Hannes Liebrandt: Danke, Sarah! #00:46:43.2#

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