Staffel 1, Folge 7
Europe's Most Wanted:
RAF-Terroristen auf der Flucht
Drei mutmaßliche Mitglieder der Roten Armee Fraktion sind noch immer auf der Flucht: Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette. Nachdem sich die Rote Armee Fraktion auflöst mit den Worten „Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“, fliehen sie 1998 in den Untergrund. Wir sprechen in dieser Episode über RAF-Terroristen und das Ende der Roten Armee Fraktion …
© Bundesarchiv, Bild 145-F051866-0010 / Fotograf: Ludwig Wegmann
Im Untergrund
© Bundesarchiv, B 145 Bild-00012241 / Fotograf(in): o. Ang.
Die Erschießung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback in seinem Auto im Jahr 1977 gilt als Auftakt in den sogenannten „Heißen Herbst“. Die RAF versuchte in diesem Jahr mit medienwirksamen Terrorakten die erste, inhaftierte Generation freizupressen. Als auch die Entführung des Flugzeugs „Landshut“ scheitert, begeht die RAF-Spitze kollektiv Selbstmord.
Es gibt Videoaufnahmen von einem Pärchen am Bahnhof von Bad Kleinen aus dem Jahr 1993, die bis heute nie veröffentlicht wurden, es wird aber vermutet, dass es sich dabei um Daniela Klette und Ernst-Volker Staub handelt. Beide mutmaßlich beteiligt auf Anschlag des brandneuen Gebäudes der JVA Weiterstadt am 27. März 1993. Das gilt auch für Burkhard Garweg. Alle 3 leben bis heute im Untergrund.
© LKA Niedersachsen, 2020
alle Folgen, Staffel 3
Die 3. Staffel führt von Oberbayern über Sizilien nach Mississippi. Es werden wieder einige der spannendsten, aber auch grausamstem Morde des 20. Jahrhunderts besprochen. Steigen Sie ein in die Welt des History Crime!
Kurz & Knackig
Folge 7: Europe´s Most Wanted – RAF-Terroristen auf der Flucht
Niklas Miyakis: Liebe Hörerinnen und Hörer, ihr habt den ersten Teil gehört. Es ging um den mutmaßlich letzten Mordanschlag der Roten Armee Fraktion an Detlev Karsten Rohwedder, und es ging um die Eskalation von Bad Kleinen. Und wir haben da am Ende über drei mutmaßliche Mitglieder der RAF gesprochen, die dort am Tatort gewesen sein sollen, es gab Videoaufzeichnungen. Dass die bis heute im Untergrund sind, warum die abgetaucht sind, wie die sich radikalisiert haben, um das Ende der Roten Armee Fraktion insgesamt, über all das sprechen wir jetzt in diesem zweiten Teil. Patrizia Schlosser ist immer noch mit am Start, natürlich auch Hannes. Ich wünsch euch viel Spaß beim Hören! Wir steigen ein am 20. April 1998. Denn da geht bei der Nachrichtenagentur Reuters ein Schreiben ein, in dem es heißt: „Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“ Die Bilanz der Roten Armee Fraktion nach drei Generationen: Insgesamt 34 Mordopfer in Deutschland, zehn davon allein im heißen Herbst 1977, der letzte Anschlag, das haben wir in Teil 1 gehört, 1991, dem Detlev Karsten Rohwedder zum Opfer fällt, das letzte Todesopfer in Bad Kleinen 1993. Im Juni 2011 wird Birgit Hogefeld entlassen, als letztes inhaftiertes RAF-Mitglied. Aber bis heute, und deswegen sprechen wir auch noch in diesem zweiten Teil etwas weiter, sind immer noch drei mutmaßliche Mitglieder im Untergrund. Im Untergrund ist quasi auch
das Stichwort, Patrizia, denn so heißt dein Podcast. Den du, ich glaube, das dürfen wir durchaus sagen, für Audible gemacht hast. Aber du hast auch ein Buch dazu geschrieben. Dieses Buch trägt den Beititel: „Der Arsch von Franz Josef Strauß, die Rote Armee Fraktion, mein Vater und ich“. Was das Ganze mit dem Arsch von Franz Josef Strauß zu tun hat, ist mir jetzt noch nicht so ganz klar. Vielleicht kannst du da ein bisschen was zu sagen? #00:02:45.0#
Patrizia Schlosser: Der Hintergrund ist, dass mein Vater den Arsch von Franz Josef Strauß im wörtlichen Sinne sehr nahe gesehen hat. Und das war so ein komisches Detail, weil eigentlich hat es sich abgespielt in sehr dramatischen Umständen. Das war an dem Tag 1972, am 5. September, als palästinensische Terroristen die israelische Sportmannschaft bei den Olympischen Spielen in München als Geiseln genommen haben. Das endete dann alles sehr blutig und tragisch in Fürstenfeldbruck auf dem Fliegerhorst, und dort war mein Vater als junger Polizist im Einsatz. Und er stand da mit Franz Josef Strauß und anderen Politikern im Tower auf diesem Flugfeld, und als die Schießerei losging, ist so das Glas runtergeflogen, die ganzen Splitter, das war so eine Glasdecke bei dem Tower, und dann haben sich alle zu Boden geworfen und sind so davongerobbt. Und vor meinem Vater war halt der offenbar riesige Hintern von Franz Josef Strauß, der sich vor meinem Vater dann so langsam die Treppe nach unten vorgerobbt hatte. Und für meinen Vater war das einfach so ein absurdes Detail, das so irgendwie witzig ist in diesem ganzen Schrecklichen, was da eigentlich passiert ist, dass es ihm bis heute einfach so im Kopf geblieben ist, so der Arsch von Franz Josef Strauß. Daher kommt der Untertitel. #00:04:07.6#
Niklas Miyakis: Ich habe ja deinen Podcast gehört. Ich finde, das ist so eine irre Geschichte. Ich glaube, dein Vater sagt in irgendeinem Interview auch, damals ist Strauß nur einfacher Bundestagsabgeordneter gewesen? #00:04:17.0#
Patrizia Schlosser: Ja. Der hatte damals keine große Funktion, aber halt einfach wahnsinnig viel Macht und Einfluss, und entsprechend war er die ganze Zeit auch mit
involviert in die Ereignisse rund um diese Geiselnahme. Der ist dann auch später auf die palästinensischen Terroristen ja fast schon losgegangen. Also drei Stück hatten das ja überlebt, drei so kleine Jungs, die dann da mit Löschschaum bedeckt, zitternd, traumatisiert in so einem Aufenthaltsraum saßen. Und dann kam Strauß rein und hat sie so laut meines Vaters, aber das habe ich jetzt auch schon von anderen Beamten gehört, die das auch gesehen haben, hat die richtig so „Ich bringe euch um, ihr Dreckschweine“. Dann wurde er so festgehalten von ein paar Polizisten, damit er sich nicht auf die gestürzt hat. #00:04:59.6#
Niklas Miyakis: Mir fällt nichts anderes ein als, wahnsinnige Geschichte irgendwie. Okay, jetzt müssen wir irgendwie die Kurve kriegen. Du hast deinen Vater, das erklärt das aber jetzt sehr gut eigentlich, dann ja auch gebeten, mit an deiner Spurensuche zu partizipieren. Und ihr habt euch gemeinsam dann eben auf den Weg gemacht, seid über anderthalb Jahre, glaube ich, quer durch Deutschland gereist, sogar ins Ausland. Ihr wart am Ende ja auch relativ weit weg. Wo seid ihr da gewesen? #00:05:26.4#
Patrizia Schlosser: In Jordanien waren wir, weil wir eine frühere Flugzeugentführerin treffen wollten, Leila Chaled. Das hat aber leider nicht geklappt. In Italien waren wir. #00:05:38.2#
Niklas Miyakis: Gehen wir vielleicht noch mal an den Ausgangspunkt. Was wird denn den dreien überhaupt zur Last gelegt? Wieso sollen die Mitglieder der Roten Armee Fraktion gewesen sein? #00:05:45.9#
Patrizia Schlosser: Erst mal vielleicht: Die Namen haben wir, glaube ich, noch gar nicht erwähnt. Also es geht um eine Frau, Daniela Klette und zwei Männer, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub. Deren DNA hat man jetzt einfach gefunden an Tatorten von mehreren Raubüberfällen auf Supermärkte und Geldtransporter, und hat dann festgestellt: Hey! Das sind ja die drei, die Anfang der 90er Jahre abgetaucht
sein sollen und zur RAF gegangen sein sollen, von denen wir DNA-Spuren an diversen RAF-Tatorten haben. Und zwar sollen sie an mehreren Anschlägen beteiligt gewesen sein. Der größte davon, der war am 27. März 1993. Das war auch der letzte Anschlag der RAF. Da haben sie einen leeren Gefängnisneubau bei Weiterstadt in die Luft gesprengt, so: „Gegen Knäste! Für eine Gesellschaft ohne Knäste.“, heißt es in dem Bekennerschreiben der RAF dazu. Es war ein Sachschaden so zwischen 80 bis 90 Millionen D-Mark. Und da hat man Spuren gefunden, wieder Haare, so wie das schon so oft war bei anderen RAF-Taten auch. 93 konnte man die noch nicht auswerten, das waren gentechnisch nutzlose Spuren, aber 2001 ist die Kriminaltechnik des BKA dann soweit. Da hat man dann eben festgestellt, die Haare gehören Daniela Klette und Ernst-Volker Staub. Dann gab‘s noch eine dritte unbekannte Spur. Und da geht man seit 2007 jetzt davon aus, dass das wohl DNA von Burkhard Garweg sein muss. #00:07:16.3#
Niklas Miyakis: Das heißt, das wusste man zu dem Zeitpunkt des Anschlages oder in der unmittelbaren Zeit danach noch gar nicht? #00:07:22.2#
Patrizia Schlosser: Noch gar nicht. Nein. Und es war so komplett die Frage: Hä? Wer soll das denn jetzt sein? Weil da blieben ja kaum Möglichkeiten mehr übrig und man wusste ja sowieso kaum etwas über diese dritte RAF-Generation. #00:07:34.6#
Niklas Miyakis: Versuchen wir das vielleicht auch ein Stück weit zu kontextualisieren. Wir sind in den Anfangsjahren 1990er. Hannes, wo befinden wir uns da mit Blick auf die Rote Armee Fraktion? Ist das irgendwie eine Hochphase, wo Anschläge stattfinden, oder? #00:07:49.0#
Dr. Hannes Liebrandt: Nein. Der Terror, der nähert sich eigentlich dem Ende. Also es gibt noch vereinzelte Aktionen. Wir hatten ja auch angesprochen, dass es vor allen Dingen in den 80er Jahren noch nachweisbare Attentate und Anschlagsversuche und tatsächlich durchgeführte Anschläge gab. Aber es nähert
sich trotzdem dem Ende. Der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel startet so eine Versöhnungsinitiative. Also man versucht, diesen Terroristen irgendwie so eine Art von Angebot zu machen im Sinne von, irgendwie so Reintegration in die Gesellschaft für Gewaltverzicht. Man behandelt letztendlich oder versucht, Terroristen dann auch wie gewöhnliche andere Strafverbrecher zu behandeln, also nicht mehr diese Sonderregelung, diese radikale Sonderregelung. Und das führt dann eigentlich zum Abebben der Gewalt. Das ist dann wirklich so eine Spirale, die sich dann einsetzt nach unten. Diese Versöhnungsinitiative von Kinkel war jetzt nicht der Auslöser, aber da sicherlich ein Katalysator. #00:08:41.7#
Niklas Miyakis: Lasst uns ein bisschen darüber sprechen, wer diese drei Figuren sind, Patrizia, deren Spur du gefolgt bist: Staub, Klette und Garweg. Wie geraten die jetzt ins Umfeld der Roten Armee Fraktion? #00:08:54.0#
Patrizia Schlosser: Staub war jemand, der tatsächlich auch schon mal festgenommen worden war, 84, war dann im Gefängnis bis 88. Der hat sich dadurch aber jetzt nicht irgendwie verändert durch diese Gefängniszeit, sondern ist danach raus und hat dann in Hamburg gewohnt, hatte da viel Kontakt auch mit den besetzten Häusern in Hamburg, also mit den Bewohnern der besetzten Häuser dort. Und in diesen besetzten Häusern hat auch Burkhard Garweg eine Zeit lang gewohnt. Klette, Daniela Klette, kommt eigentlich aus Wiesbaden, war wohl aber auch öfter mal zu Besuch in Hamburg in diesen besetzten Häusern. Und es ist gut möglich, dass die drei sich dort kennengelernt haben, dort aufeinandergetroffen sind. Jedenfalls hat mir das jemand so erzählt, der damals in den besetzten Häusern lebte. Ich glaube, alle drei, Staub sicherlich am stärksten, waren sehr so auf RAF-Kurs, also Staub kannte ja auch einige Mitglieder der zweiten Generation. Mit denen ist er zusammen verhaftet worden. Auch ganz absurd, da haben sie in so einer Wohnung 84 Gewehre gereinigt und dann ging ein Schuss los. Und dann hat das der Nachbar gehört, und so flogen sie dann auf und wurden festgenommen, also ganz absurd alles. Und Klette war bekannt mit Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, von denen wir ja wissen, dass sie bei der RAF waren, die kommen ja auch aus der Wiesbadener Gegend. Und Burkhard Garweg, über den ist am wenigsten bekannt, wie der sich
jetzt genau radikalisiert hat. Man weiß eigentlich nur so viel, dass er sich politisch engagiert hat in Hamburg als Schüler, da war er noch sehr jung, er ist der jüngste der drei, und dass er eben dann ausgezogen ist von zu Hause und in diesen besetzten Häusern gewohnt hat. #00:10:43.1#
Niklas Miyakis: Wenn wir so ein bisschen versuchen, darüber zu reden, wie so diese Radikalisierung sich anbahnt, dann ist das ja mit Blick auf die erste und zweite Generation relativ oft auch, dass man versucht sozusagen, die alte eigene Elterngeneration zu bekämpfen. Man sieht die BRD so ein Stück weit als Nachfolgestaat des Nationalsozialismus, weil die Entnazifizierung nicht weit genug ging. Hannes, ist das, würdest du sagen, so eines der zentralen Motive? #00:11:09.4#
Dr. Hannes Liebrandt: Ja. Sicherlich eines der wichtigsten Motive, muss man ganz klar sagen. Also die erste Generation, wir sind hier in der Zeit 1970 bis 1975, war natürlich eine ganz andere Zeit als jetzt die dritte oder vermeintlich dritte Generation, 80er, Anfang 90er Jahre. Wir haben globale Friedensbewegung, in den Hörsälen sieht man Proteste gegen den Vietnamkrieg (unv. #00:11:31.9# und?) allgemeine Medien, auch in Filmen. Und in Deutschland kommt noch so ein Sonderfall dazu, dass eben ab dieser Zeit, also ab den 60er Jahren, dann vor allen Dingen auch in den 70er Jahren sich diese globale Friedensbewegung auch noch mit einer spezifisch deutschen Erinnerungskulturaufarbeitung verbindet. Und Söhne und Töchter fragen dann einfach mal bei den Eltern nach: Hey! Was habt denn ihr eigentlich in der Zeit des Nationalsozialismus gemacht? Und man beginnt unangenehme Fragen zu stellen, man beginnt einfach mal kritisch nachzufragen und auch Autoritäten in Frage zu stellen. Und das ist sicherlich ein Kennzeichen dieser ersten Generation vor allen Dingen. #00:12:06.9#
Niklas Miyakis: Gibt’s denn da irgendwie mit Blick auf die drei irgendwie einen Zeitpunkt, wo man sagen kann, jetzt verschwinden die drei gemeinschaftlich in die Illegalität? #00:12:14.5#
Patrizia Schlosser: Es heißt, dass es wohl so Anfang der 90er Jahre gewesen sein muss. Also wenn man so Akten liest von damals, dann verschwinden die da irgendwie vom Radar. Ich habe auch gehört, zumindest Burkhard Garweg soll auch Anfang der 90er, ich glaube, 91 soll er auch in einer Sauna seinen Gleichgesinnten aus der Hafenstraße erzählt haben, dass er plant, zur RAF zu gehen, dass er abtauchen wird. Ja, eine skurrile Geschichte, keine Ahnung, ob es wirklich so stimmt, aber würde sich zeitlich decken. #00:12:51.3#
Niklas Miyakis: Warum Sauna? #00:12:53.4#
Patrizia Schlosser: Damit man nicht so jemand sein kann wie Klaus Steinmetz, also damit man nicht heimlich ein Spitzel sein kann, ein Mikrofon tragen kann oder ähnliches. Also dass ausgeschlossen werden kann, weil alle nackt sind, dass jemand dabei ist, der heimlich solche Gespräche aufnimmt. #00:13:09.4#
Dr. Hannes Liebrandt: Kennt man auch so aus Mafiafilmen, oder? Da werden doch auch immer so Verschwörungen, Mordkomplotte in der Sauna dann geschmiedet. #00:13:14.7#
Niklas Miyakis: Ja, absolut. Gehen wir trotzdem vielleicht jetzt, Hannes, ich hatte vorhin eine schöne Überleitung und jetzt wird’s schwierig. Lasst uns ein bisschen gucken, was die heute treiben. Ich habe die, glaube ich, das erste Mal zur Kenntnis genommen, als ich mir Aktenzeichen XY angeschaut habe. Patrizia, du hast es kurz schon angedeutet, die begehen Raubüberfälle. Also sind das heute richtige Berufsverbrecher, oder wie müssen wir uns das vorstellen? #00:13:36.6#
Patrizia Schlosser: Ja. Das ist eine sehr spannende Frage. Also was wir wissen, ist, dass sie neun Raubüberfälle begangen haben sollen. Das wirft ihnen jedenfalls die
Staatsanwaltschaft Verden vor. Es war auf Supermärkte und auf Geldtransporter. Also die Theorie liegt nahe, dass man sagen muss, dass sie wohl Geld brauchen, weil sie offenbar irgendwie ein Leben im Untergrund führen, wie das auch immer ausschauen mag. Und um das zu finanzieren, weil sie gar keiner geregelten Arbeit nachgehen können, begehen Sie diese Raubüberfälle. #00:14:09.3#
Niklas Miyakis: Das heißt, die haben wahrscheinlich keinen Job und müssen sich damit irgendwie über Wasser halten. Und das ist die einzige Möglichkeit irgendwie an Kohle zu kommen, um es ganz einfach auszudrücken? #00:14:17.5#
Patrizia Schlosser: Ja, möglicherweise. Wobei man sich natürlich auch gut vorstellen könnte, dass sie sich eine zweite Identität zugelegt haben mit gefälschten Pässen. Gerade so rund um die Wendezeit und so weiter könnte man sich das ja vorstellen, dass da sowas verfügbar war. Und dass sie sehr wohl eigentlich auch einer geregelten Arbeit nachgehen könnten, eben mit einem ganz anderen Namen, mit einer ganz anderen Identität. #00:14:39.8#
Niklas Miyakis: Gehen die Raubüberfälle denn bis in die Gegenwart oder hören die irgendwann auf? #00:14:43.3#
Patrizia Schlosser: Der letzte Überfall, der war 2016 im Juni, 25. Juni. Und da sollen Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg einen Geldtransporter vor einem Matratzengeschäft ausgeraubt haben. Und das ist der bisher letzte und auch ihr erfolgreichster Überfall, also sie sollen da über 600.000 Euro erbeutet haben. Ich war auch bei diesem Matratzengeschäft und fand das total interessant, mich mit einem der Mitarbeiter zu unterhalten, der an dem Tag im Dienst war. Weil er meinte, dass der Mann, der mit einer Waffe in der Hand dann reinkam in das Matratzengeschäft, dass der so einen aufgeklebten Bart hatte. Der wäre ihm nämlich ein paar Mal so ein bisschen abgegangen an den Seiten und er musste ihn dann wieder so draufkleben. Und er meinte sich auch zu erinnern, dass er in den Tagen
davor Daniela Klette auf dem Parkplatz, da ist so ein großer Parkplatz davor für andere Supermärkte noch und so ein Gemeinschaftsparkplatz, dass er Daniela Klette dort hat auch sitzen sehen auf so einem Findling, also auf so einem großen Stein. Als die Polizei ihm Bilder von ihr gezeigt hatte, hat er halt gesagt: Ja, die war da, die war mehrere Male da, saß da irgendwie auf dem Stein rum, das wäre ihm aufgefallen. Vielleicht hat sie das eben ausgekundschaftet: Wann kommt der Geldtransporter, um die Einnahmen des Tages abzuholen? Wie funktioniert der Laden? Und so weiter. #00:16:05.0#
Niklas Miyakis: Manchmal schreibt das wahre Leben irgendwie die absurdesten Geschichten. Also die Vorstellung, dass der da reinkommt und ihm fällt da der aufgeklebte Bart die ganze Zeit ab. Okay! Du hast natürlich versucht, die irgendwie aufzuspüren, die zu finden. Bist du ihnen denn irgendwie ein Stück weit nähergekommen? #00:16:22.0#
Patrizia Schlosser: Hm. Also ich glaube, ich bin dem so ein bisschen nähergekommen, so der Frage: Warum radikalisiert man sich? Wie funktioniert das? Aber ich bin ihnen nicht nähergekommen im Sinne von, das hatten nämlich sicherlich alle Leute mitbekommen, die diesen Podcast gerade hören, wenn ich mit diesen drei gesprochen hätte und gewusst hätte, wo die jetzt sind und so weiter. Nein, also das ist nicht passiert. Aber ich konnte ein paar spannenden Spuren nachgehen. Also ich habe zum Beispiel mit jemandem gesprochen, die früher mal, in den 90er Jahren waren die mal untergetaucht, ich glaube, insgesamt für zehn Jahre, hatten sich auch versteckt, weil sie als RAF-Unterstützer gesucht wurden. Die konnte ich ausfindig machen, die wohnen in so einer Waldhütte, mitten in so einer verlassenen Gegend in Deutschland. Und mit denen habe ich Kaffee getrunken zusammen mit meinem Vater. Das war zum Beispiel ein Moment, wo man so verstanden hat, wie solche Leute ticken, die sich in diesem Umfeld befunden haben. Das war eine sehr interessante Erfahrung, solche Leute zu treffen, weil die wirklich wie aus der Zeit gefallen waren. Die haben gesprochen, als wären wir immer noch in den 80ern oder so und das wäre die Hochzeit der RAF. Und haben das alles gerechtfertigt, deren Gewalt, also das war eine ganz absurde Situation, vor allem mit meinem Vater, weil
er als Ex-Bulle da neben mir auf dem Sofa saß und immer so weiter mehr in die Sofaritze reingerutscht ist so: Ah! Was passiert hier gerade? Mit wem trinke ich hier Kaffee? #00:17:56.8#
Niklas Miyakis: Und zum Beispiel mit Blick auf die beiden da im Wald und so das Umfeld der RAF mit den Leuten, mit denen du da gesprochen hast, ich stelle mir jetzt so ein bisschen vor, die reden, ohne wirklich zu sprechen über das, was passiert ist, ohne irgendwelche Namen zu nennen, ohne irgendwelche Spuren offen zu legen. Also kann man da von so einer Mauer des Schweigens sprechen, was eben tatsächlich dann auch mögliche Spuren angeht und so weiter? #00:18:22.7#
Patrizia Schlosser: Oh ja, auf jeden Fall. Es war auch wahnsinnig frustrierend streckenweise diese Recherche, weil ich einfach so viele Leute kontaktiert habe, die alle nichts dazu sagen wollten. Es gibt ja viele RAF-Mitglieder, die ihre Gefängnisstrafe abgesessen haben und entsprechend ganz normale Leben führen heute, natürlich. Die habe ich versucht zu kontaktieren. Ich habe viele aus dem früheren Umfeld versucht zu kontaktieren. Und es war auf jeden Fall eine Mauer des Schweigens, die mir da entgegengeschlagen ist. Jetzt kann man natürlich sagen: Okay! Es ist auch naiv zu denken, dass die jetzt mit einem sprechen wollen und wer bin ich überhaupt? Irgend so eine dahergelaufene Journalistin, die jetzt von denen Infos will. Alles klar, kann man so sehen auf jeden Fall, aber das war schon auch noch mehr. Man hat einfach gespürt, dass die auch so eine Art Code haben, dass man da nichts dazu sagt. Also man lässt dazu nichts raus, es wäre alles Verrat, wenn man sich dazu äußern würde. Und ich glaube, da herrscht auch eine wahnsinnige Kontrolle untereinander. Das hat mal jemand aus der Hafenstraße, also aus den besetzten Häusern in Hamburg zu mir gesagt, wie hat er das ausgedrückt? Da hängt die Dunstglocke drüber. Also du begehst dich halt auch nach draußen, wenn du dich erdreistet, was dazu zu sagen oder vielleicht auch deine Meinung änderst zu dem, was du früher über die RAF dachtest. Und du bist dann dem auch ausgesetzt, dass andere das kritisch sehen können. Also es ist auch nicht einfach sich dazu zu äußern. Und vielleicht gerade, wenn man seine Meinung auch geändert hat zu dem,
was man früher so gedacht hat. Also es ist ein Minenfeld, in dem ich da so rumgestakst bin mit meinem Vater. #00:19:57.0#
Niklas Miyakis: Dann auch immer noch so eine gewisse Angst der Stigmatisierung, auch wenn das alles im Grunde ja längst vergangen ist, also es schon sehr viele Jahren ins Land gestrichen sind? #00:20:05.7#
Patrizia Schlosser: Ja, man darf nicht vergessen, dass es zwar schon lange her ist, aber dass extrem viele Morde und Anschläge einfach noch nicht aufgeklärt sind. Also das heißt, da steckt halt auch noch ziemlich viel Zündstoff drin. #00:20:16.8#
Dr. Hannes Liebrandt: Aber ein paar vereinzelte gibt es, glaube ich, oder? Also ganz wenige, du hast gesagt, es ist eher die Ausnahme. Also Ex-RAF-Terroristen. Ich glaube, in der Netflix-Doku, haben wir auch in der ersten Folge darüber gesprochen, da kommt ja diese Silke Maier-Witt. Die war ja, glaube ich, auch in die Entführung und Ermordung von Schleyer irgendwie involviert, also ein Arbeitgeberpräsident. Muss sich dann auch später mit dem Sohn getroffen haben und so ein bisschen um Verzeihung gebeten haben. #00:20:41.0#
Patrizia Schlosser: Ja, ich glaube, das war so der Bruch nachdem, weil die hat davor eigentlich nie was gesagt. Irgendwie, das war so vor ein paar Jahren, das war so am Ende meiner Recherche, da hatte sie sich da mit dem Sohn von Schleyer getroffen auf BILD-Initiative, was ja irgendwie auch abgefahren ist, weil die BILD hat echt die RAF-Mitglieder auch alle also wirklich, also das war ja voll die Hexenjagd, und dass ausgerechnet dann die BILD-Zeitung da ein Interview mit ihr und dem Sohn von Schleyer führen durfte, das ist auch alles sehr merkwürdig, aber gut. Genau, die hat da zum ersten Mal gesprochen und jetzt eben auch in dieser Netflix-Doku. #00:21:18.1#
Niklas Miyakis: Hast du denn eigentlich in den Gesprächen, die du geführt hast, hast du sowas wie Reue erlebt? #00:21:23.1#
Patrizia Schlosser: Ja schon. Aber eigentlich nur in einem Fall. Also mir fällt da Christof Wackernagel ein, der hat auf jeden Fall seine Sicht auf die Dinge verändert. Der hat sich auch viel damit auseinandergesetzt. Aber ich glaube, es ist einfacher, das habe ich auch gemerkt bei der Recherche, sich zu sagen, dass das schon alles gut so war und dass man es nochmal machen würde. Also das klang auf jeden Fall auch bei vielen so raus. #00:21:52.3#
Niklas Miyakis: Und in deiner Recherche ploppt dann irgendwann ja auch dein Name in der Szene auf und man kommuniziert irgendwie untereinander, mit dir ist nicht mehr zu reden. Hattest du da irgendwie auch sowas wie ein mulmiges Gefühl irgendwann? #00:22:03.1#
Patrizia Schlosser: Ja. Das war, nachdem ich mit jemandem gesprochen habe, der Staub von früher kennt und der halt Teil dieser Szene ist. Also ich hab ja eigentlich nur mit Leuten, bis auf Christoph Wackernagel habe ich ja nur mit Leuten gesprochen, die nicht in der RAF waren, sondern vielleicht RAF-Nähe, Umfeld und so weiter. Und der, der hat seine Meinung zum Beispiel nicht geändert, also der sagt auch jetzt noch: Man muss Gewalt anwenden, um was zu ändern. Ohne mit der Wimper zu zucken hat der da ganz schön harte Sachen gesagt. Ich weiß auch nicht, der wollte irgendwann plötzlich gar keinen Kontakt mehr und kurz darauf erschien ein Artikel in so einem linksextremen Magazin in Hamburg – „Gefangeneninfo“ heißt das – über mich, dass man nicht mit mir sprechen soll, dass ich eine BND-Mitarbeiterin wäre, dass ich ein Spion wäre, dass ich die Szene zersetzen wollen würde, Repression und so weiter sind die Schlagwörter dann. Also da wurde davor gewarnt, mit mir zu sprechen. Und das hat mich dann schon auch erschreckt, weil einfach es so offensichtlich war, dass das Quatsch ist und die sich da aber so gut reinsteigern konnten. Meine Theorie ist auch, dass derjenige, mit dem ich da gesprochen hatte, ich glaube, das war der Anlass zu diesem Artikel. Und ich glaube, ich könnte mir
jedenfalls gut vorstellen, dass das irgendwie so eine Situation war wie, er hat erzählt, dass er sich mit mir trifft und plötzlich haben andere Leute aus seiner Szene gesagt: Was? Was machst du da? Du kannst doch nicht mit einer Journalistin reden. Was fällt dir ein? Ich stelle mir dann immer so einen Stuhlkreis vor, wo er dann irgendwie Buße tun muss und sagen muss: Ich mach’s nie wieder. Und dann erscheint diese Artikel über mich sozusagen, um ihn wieder rein zu waschen. So stelle ich mir das irgendwie vor, dass das gelaufen sein könnte. Aber naja, es gibt inzwischen auch so ein paar komische Gedichte über mich auf irgendwelchen linksextremen Seiten und so. #00:23:53.9#
Niklas Miyakis: Wenn du es in unserem Podcast bekanntgeben möchtest, dass du für den BND arbeitest, kannst du das natürlich machen. #00:23:59.8#
Patrizia Schlosser: Das ist gut. (lacht) #00:24:05.6#
Niklas Miyakis: Wir haben jetzt viel über die drei gesprochen, aber lass uns auch vielleicht noch mal so ein bisschen, weil man an den dreien relativ gut auch besprechen kann, wie so die Ermittlungsbehörden damals arbeiten, dass da vielleicht auch nicht alles so ganz glücklich, um es sehr vorsichtig auszudrücken, gelaufen ist. Du triffst einen Verfassungsschützer, (unv. #00:24:22.5# Lothar? Dahlke), und der vertritt relativ eindeutig auch in deinem Podcast die These, dass die drei ja gar nicht in den Untergrund gegangen sind, weil sie tatsächlich RAF-Mitglieder waren, sondern was sagt er? #00:24:35.0#
Patrizia Schlosser: Er sagt, dass die abgetaucht sind, weil sie sich einfach dem ständigen Verfolgungswahn der Behörden entziehen wollten. Da war ja ein wahnsinniger Druck auf alle, die man vonseiten des Verfassungsschutzes her identifizieren konnte als möglicherweise RAF oder RAF-Umfeld. Die wurden Tag und Nacht so in der Richtung beschattet. Wenn die morgens beim Bäcker sich eine Semmel geholt haben, wie Christoph Seidler zum Beispiel mal erzählt später, der
auch zum Umfeld der dritten Generation oder eine Zeit lang auch als drittes Generationsmitglied gehandelt wurde, gesagt hat: Wenn man da morgens zum Bäcker ist, dann hatte man irgendwie schon mehrere Leute an den Hacken. Und so ging das einfach den restlichen Tag weiter. Zum Beispiel die, die aus der zweiten Generation dann in der DDR untergetaucht sind, die konnten das ja auch nicht mehr ertragen, diesen ständigen Druck und das sich verstecken müssen und so weiter. Also es könnte sein, dass die drei Anfang der 90er Jahre, so die These von Dahlke, gesagt haben, sie wollen einfach nur weg, sie wollen raus aus diesen ganzen Dingen, dass sie gehandelt werden als RAF-Mitglieder, und sie wollen einfach verschwinden nur, im wahrsten Sinne des Wortes nur verschwinden. Er sieht sie nicht als RAF-Mitglieder, er sagt, das passt irgendwie alles nicht so zusammen. Und er kann sich vorstellen, dass sie die Raubüberfälle jetzt auch einfach nur machen, wenn sie denn überhaupt diejenigen sind, um halt eben Geld zu verdienen und dass es auch sonst für sie der einzige Anlass war unterzutauchen, um eben zu verschwinden und dass man jetzt damit sein Geld irgendwie machen muss. Aber dass es nicht bedeutet, dass sie in der RAF waren. #00:26:13.5#
Niklas Miyakis: Jetzt hast du gerade relativ detailreich skizziert, dass die möglicherweise tatsächlich dann eben durch diese Methoden in den Untergrund gegangen sind und gar nicht unbedingt, also nicht zwingend, Mitglieder oder aktive Mitglieder der Roten Armee Fraktion gewesen sind. Du haderst da ja auch so ein Stück weit selbst mit dir in dem Podcast, das ist mir aufgefallen. Du streitest dich ja genau auch dann über diese Frage der Methodik des Staatsapparates mit deinem Vater, der so ein bisschen sagt: Naja, muss man selbst mit leben. Ich glaube, er sagt wortwörtlich „im Dunstkreis von diesen Grattlern“. Wenn man da mit denen verkehrt, dann muss man da eben mit leben. Er kann das natürlich bayerisch besser aussprechen. Aber du hast da einen anderen Standpunkt, oder? #00:26:54.5#
Patrizia Schlosser: Ich habe jedenfalls damals einen anderen Standpunkt vertreten. Ja. Die Sache ist ja die: Wie kann der Staat angemessen darauf reagieren, wenn er aus dem Inneren angegriffen wird von einer kleinen Gruppe wie es eben die RAF war? Und ich habe das sehr kritisch gesehen, mit was für Methoden da gearbeitet
wurde, also die Antiterrorgesetze und so weiter. Da wurdest du ja schon festgenommen, wenn du nur ein Flugblatt verteilt hast, auf dem draufstand „RAF-Gefangene aus den Gefängnissen raus“ oder wenn du irgendwie ein Graffiti hin gesprüht hast an irgendeine Mauer, hier irgendwas mit „Gefangene der RAF müssen raus aus den Gefängnissen“ oder so. Also deswegen wurdest du schon festgenommen. Diese ganzen Leute in der linksradikalen Szene, die saßen einfach ständig im Gefängnis oder ständig wurden ihre Wohnungen durchsucht. Und das schafft natürlich auch alles so ein wahnsinniges Klima, das einen, glaube ich, nur noch stärker radikalisiert. Und mein Vater hat halt dagegen argumentiert: Ja, dann sollen sie das halt einfach nicht machen. Dann sollen sie halt keine Pamphlete verteilen. Dann sollen sie nicht Graffiti an irgendwelche Wände sprühen, und dann passiert ihnen auch nichts, so in der Richtung. Und wenn dann da eben mal jemand festgenommen wird oder dem was passiert oder so, dann ist er eben selber schuld, wenn er eben bei sowas auch mitgemacht hat. Und das finde ich halt nicht. Das finde ich auch nach wie vor nicht. Ich finde, der Staat muss besonnener reagieren. #00:28:22.4#
Niklas Miyakis: Und das macht man ja ganz gezielt. In deinem Podcast spricht ein Verfassungsschützer davon, das Umfeld trockenzulegen. Also das ist jetzt nicht irgendwie zufällig passiert, sondern da denkt man sich ja richtig was dabei. Ja, ein ganz interessanter Punkt. Hannes, ist das so, wenn wir das kontextualisieren, ist das so die Gretchenfrage in dieser Zeit auch? #00:28:40.6#
Dr. Hannes Liebrandt: Ja, ich glaube, dass Terrorismus immer eine besondere Bedrohung für den Staat ist, damals und heute auch, weil terroristische Anschläge, egal jetzt mit welchem politischen Hintergrund, immer den Staat an wirklich die Grenzen bringt. Das ist immer so die alte, immer fortwährende Diskussion: Wie weit darf denn der Staat überhaupt gehen? Damals bei der RAF stand ja auch immer die Frage im Raum: Darf man eben auf Forderung der Terroristen eingehen oder nicht? Darf man zum Beispiel einen Gefangenenaustausch vornehmen oder nicht? Der demokratische Rechtsstaat beruft sich eben darauf, dass das Gewaltmonopol beim Staat und bei den staatlichen Trägern liegt. Und in dem Fall nehmen Terroristen,
aber auch andere, die eben Gewalt anwenden, brechen eben dieses Gewaltmonopol letztendlich. Und das ist eine ganz, ganz wichtige Entwicklung, die der demokratische Rechtsstaat und allgemein auch unsere Gesellschaft durchlebt hat in den letzten 100, 200, 300 Jahren, dass man eben eigentlich auf Selbstjustiz verzichtet, sondern dass der Staat sozusagen als ausführendes Organ, insbesondere die Exekutive, gestützt auf die Legislative dann eben dieses Gewaltmonopol umsetzt. Das ist die staatsrechtliche Sichtweise. Es gibt natürlich aber auch immer eine moralisch-ethische, die dahintersteht, also die Beweggründe von den Menschen und die Beweggründe auch des Staates. Und die muss man dann im Zweifelsfall und dadurch auch im Einzelfall immer gegenüberstellen und neu bewerten. Ich glaube, so pauschale Urteile kann man da überhaupt nicht fällen. Deswegen versuche ich mich auch ein bisschen raus zu winden aus dieser Frage. Aber das ist eben für damalige Betrachtung wichtig und für die heutige auch. Darf der Staat ein Flugzeug abschießen, das irgendwie von Terroristen gekapert wird und die Terroristen drohen das irgendwie in einer Großstadt landen zu lassen, oder nicht? Staatsrechtliche Frage oder auch moralisch-ethische Frage. Werden wir heute nicht lösen können. Und beim Terrorismus geht es ja auch immer nicht nur um die Einzeltat, um das Attentat, um diesen Anschlag, sondern eben auch, was diese Einzeltat dann auslösen kann an gesellschaftlichen Entwicklungen, an revolutionären Bewegungen. Also man könnte fast sagen, beim Terrorismus ist weniger die Tat wichtig als letztendlich die Rezeption und das Gespräch und das Reden über diese Tat danach und was diese Tat dann eben einleiten kann. #00:30:58.1#
Niklas Miyakis: Lasst uns zum Ende vielleicht auch noch mal in die Gegenwart gehen und die Frage stellen: Wie kann man das Ganze aufarbeiten? Damit beschäftigst du dich ja auch relativ intensiv, Patrizia. Was könnte eine Lösung sein, um zum Beispiel vielleicht auch am Ende als Staat den drei noch im Untergrund befindlichen Terroristinnen und Terroristen die Tür zu öffnen? Oder würdest du sagen, diese Tür darf man gar nicht öffnen? #00:31:22.7#
Patrizia Schlosser: Doch, ich finde das eine sehr interessante Frage. Also es wurde ja auch schon öfter in der RAF-Geschichte diskutiert: Darf man der RAF, darf man
RAF-Mitgliedern Amnestie geben? So in der Richtung: Ihr redet jetzt mal Tacheles, wer hat wann wen umgebracht? Wer steckt hinter den Morden? Und dafür bekommt ihr Straffreiheit. Ich finde diesen Gedanken sehr verlockend, weil letztendlich ist es ja auch das, was die Hinterbliebenen der Opfer wollen. Die wollen einfach mal Klarheit haben, die wollen wissen: Wie ist das passiert? Warum wurde der ausgewählt? Wer hat meinen Vater, meinen Großvater jetzt wirklich erschossen? Und das wäre eine Form von Aufklärung, die dann endlich mal geleistet werden könnte. Und jetzt haben wir halt nur immer diese besagte Mauer des Schweigens. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sagen, wenn man sich jetzt diese drei Mitglieder, die jetzt noch gesucht werden, also Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg anschaut, die haben ja auch jetzt lauter Raubüberfälle begangen, nämlich mindestens neun Stück in den letzten Jahren. Was macht man dann damit? Man kann ja nicht einfach sagen, gut, weil ihr einen politischen Hintergrund habt, seid ihr irgendwie bessere Räuber. Wir geben euch Amnestie, ihr kommt dafür nicht ins Gefängnis. Weil allein dafür würden die ja schon sehr lange sitzen, für diese Raubüberfälle. Da steht ja auch Totschlag im Raum und sowas. Wie macht man das dann? Also das wirkt ungerecht, dass man dann sagt, ihr seid die besseren Verbrecher, ihr dürft Amnestie bekommen. Jemand, der jetzt einfach nur ohne politischen Hintergrund jemand umgebracht hat, bekommt das nicht. #00:32:52.6#
Dr. Hannes Liebrandt: Und da stellt sich die Frage, ob man damit, mit diesem durchaus verlockenden Angebot die Leute trotzdem wirklich zum Reden bringt oder nicht? Ich kann mir jetzt auch vorstellen, also man muss sich das ja auch mal so denken. Diese Terroristen, die leben da hat seit Jahren im Untergrund, jetzt mittlerweile schon seit Jahrzehnten, haben vorher den Staat bekämpft, warum sollten sie jetzt diesen Staat vertrauen bei diesem Angebot? Also die Skepsis gegenüber dieser Autorität, gegenüber der BRD, die war damals ja schon während der Hochphase des Terrorismus da und wird sicherlich nicht abgelegt worden sein. Das ist eine Frage, ob man diese Menschen, die jetzt auch schon viel zu tief im Sumpf drinstecken, wirklich damit noch zum Reden bringen kann. Und wenn man das nicht macht, dann kann man der Öffentlichkeit gegenüber auch nicht eine Amnestie erklären. Das hattest du ja auch gesagt, nämlich warum sollten die dann bessergestellt werden als andere? #00:33:43.3#
Niklas Miyakis: Okay! Dann vielleicht an euch die abschließende Frage mit Blick auf das hier und jetzt. Was würdet ihr sagen? Werden die drei je gefasst? #00:33:54.2#
Patrizia Schlosser: Ich denke schon, dass sie irgendwann gefasst werden. Ich denke allerdings nicht, weil die Polizei plötzlich so eine gute Spur hat im Sinne von, der entscheidende Hinweis kommt rein oder so, sondern ich glaube, dass es eher so aus Zufall passieren wird. Zum Beispiel, als Eva Haule 1986 verhaftet wurde, war es ja so, dass schon nach ihr gesucht wurde und so weiter, aber es gab keine Hinweise, wo sie ist. Und sie saß eines Tages in Rüsselsheim, in der Nähe von Frankfurt, war sie in einer Eisdiele Eis essen und hat sich da mit anderen Leuten getroffen. Sah aus wie so eine Businessfrau, man hätte sie auch niemals erkannt, hatte so einen Kurzhaarschnitt und so Businessklamotten an. Und da war so ein Typ in dieser Eisdiele, der dachte, das ist komisch, wie die sich verhält, da stimmt was nicht. Er glaubt, es ist ein RAF-Mitglied. Das hing ja damals in der Luft, dass man ständig dachte, man sieht ein RAF-Mitglied, überall waren diese Fahndungsplakate und so. Also ruft er die Polizei an, die Polizei ist total genervt, weil dieser Typ ruft nämlich ständig an und denkt, er hätte RAF-Mitglieder gesehen. Also wahrscheinlich ist es wieder nichts. Trotzdem fährt die Streife vorbei und zack, ja, es ist Eva Haule. Sie hat eine Knarre in der Hose, also Festnahme. So könnte ich mir vorstellen, läuft das bei denen auch mal. #00:35:08.7#
Dr. Hannes Liebrandt: Also so der Faktor Zufall so ein bisschen. Oder man plaudert vielleicht nach einem dritten Bier, ich weiß nicht, vielleicht auch mal in einer Kneipe. #00:35:15.3#
Niklas Miyakis: Das glaube ich nicht. #00:35:16.6#
Dr. Hannes Liebrandt: Da sind sie Profis genug wahrscheinlich, oder? #00:35:18.0#
Niklas Miyakis: Ja, ja, vor allen Dingen, wenn du – wir haben es ja gehört – jetzt an die 30 Jahre im Untergrund bist, dann wirst du nicht plötzlich nach 35 Jahren zwei Bier zu viel trinken. #00:35:26.1#
Dr. Hannes Liebrandt: Ja, stimmt. Was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass die Welt sich ja auch wandelt, zunehmend digitaler wird, also unsere eigenen Fußabdrücke werden ja auch stärker irgendwie wahrgenommen und so. Ich will mich nicht festlegen, aber es kann auf jeden Fall gut möglich sein. #00:35:41.9#
Niklas Miyakis: Das glaube ich auch, dass dann irgendwann der Zufall den Ermittlungsbehörden in die Karten spielt. Das würde ich auch sagen. Wenn dem so sein sollte, machen wir auf jeden Fall noch mal einen Podcast, würde ich sagen. Dann kommen wir zum Ende. #00:35:56.6#
Dr. Hannes Liebrandt: Patrizia, wir haben dir ja vorhin schon gesagt, dass wir immer so ein bisschen Quellen einbinden. Und am Ende, wir sind ja auch Geschichtsdidaktiker hier an der LMU München, also uns interessiert auch immer, wie man Geschichte vermittelt, wie man Geschichte aufnimmt und was wir letztendlich auch aus der Vergangenheit für die heutige Gegenwart herausziehen können. Und das macht seit geraumer Zeit der Niklas, und das soll er auch relativ spontan machen. Und deswegen, wir haben jetzt heute eigentlich gesagt, dass RAF-Phänomen ist ja heute nicht mehr so aktuell, das muss man ganz klar sagen. Also bei weitem nicht so in der Geschichtskultur in den Medien präsent wie in den 70er, 80er und 90er Jahren. Aber dennoch muss es ja irgendwas mit uns zu tun haben, insbesondere weil diese drei Menschen hier irgendwo noch rumlaufen. Aber vielleicht an einem größeren Maßstab bezogen: Was können wir da rausziehen, Niklas? Was meinst du? #00:36:48.9#
Niklas Miyakis: Heute ist es tatsächlich nicht ganz so spontan, das muss ich zugeben, weil ich mir eben dieses Schreiben noch mal näher angeschaut habe, mit
dem sie das Ende der Roten Armee Fraktion erklären. Vielleicht vorweggeschoben, was mir tatsächlich so ein bisschen auch in unserem Gespräch aufgefallen ist, dass für mich persönlich, ich kann sehr gut nachvollziehen so 68er-Bewegung und so weiter, diese stockende Entnazifizierung, und kann sozusagen ein Stück weit die Motivlage verstehen. Ich habe dafür kein Verständnis, dass man dann Terroristin oder Terrorist wird, aber ich kann die Motivlage nachvollziehen. Ich finde aber, die Rote Armee Fraktion ist immer etwas wahnsinnig Elitäres geblieben, hat also nie erreicht, die Mehrheitsmeinung zu repräsentieren. Vielleicht hat man das auch nie wirklich gewollt, da stecke ich zu wenig drin. Aber das ist so das, was ich immer wieder bei mir feststelle, dass ich das merke. Dann mit Blick auf diese letzte Erklärung, man nennt keine Opfer, dafür dann eben die ums Leben gekommenen Terroristinnen und Terroristen werden da aufgezählt. Aber auch da findet keine Auseinandersetzung mit den Opfern statt, da bleibt man also der Linie treu. Und mit Blick auf das eigene Selbstverständnis würde ich hier mal zitieren, da heißt es nämlich mit Blick auf das Erreichte: „Die Rote Armee Fraktion hat nach dem Nazi-Faschismus mit dieser deutschen Tradition gebrochen und ihr jegliche Zustimmung entzogen.“ Und ich finde, das zeigt wunderbar diesen elitären Selbstanspruch, dieses elitäre Selbstverständnis, weil aus meiner Sicht das eben nicht die Rote Armee Fraktion und ihr Terror gewesen ist, sondern das, was ich vorhin schon ausgeführt hatte, das war die 68er Generation, viele andere, die heute auch noch aktiv sind in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, in der Politik und so weiter. Die alle gemeinschaftlich haben das erreicht und es war sicherlich nicht die RAF. Das so vielleicht als Schlusswort. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, Patrizia? #00:38:45.5#
Patrizia Schlosser: Ich finde spannend an der ganzen Geschichte der RAF einfach, wie sehr man daran auch sieht, was passiert, wenn Gesellschaften versuchen Sachen zu unterdrücken, also eben zum Beispiel, was du ja auch gerade meintest, was du nachvollziehen kannst, so die Motivlage, so der Hintergrund der Nazi-Eltern und so weiter, diese schreckliche Geschichte des Holocausts, die nicht richtig aufgearbeitet wurde in Deutschland oder wo auf jeden Fall noch viel Luft nach oben war. Und was dann passieren kann, wenn das eben nicht komplett aufgearbeitet wird, dass es sich dann gegen einen wenden wird, dass es Leute geben wird, die
sich dadurch radikalisieren wie die RAF. Ich finde das spannend, weil es halt immer wieder zeigt, dass es gut ist, wenn man möglichst transparent ist, wenn man möglichst alles offenlegt, wenn man spricht. Und das war ja letztendlich auch das, was mich und meinen Vater durch diese ganze Recherche zusammengebracht hat. Dass wir einfach das Gefühl hatten, wir können uns besser verstehen, wir können uns besser kennenlernen, wenn wir über Dinge diskutieren, die wir am liebsten vermeiden würden, weil wir beide denken, der andere hat keine Ahnung und seine Ansicht ist auf jeden Fall falsch. Wenn man sich dem aussetzt und versucht respektvoll trotzdem miteinander umzugehen und Dinge anspricht, die wehtun und die kritisch sind, dass das am Ende dazu führt, dass man sich stärker respektiert und sich einander nähert, anstatt sich zu entfernen. #00:40:11.0#
Niklas Miyakis: Also kann man sagen, du bist zwar den dreien nicht auf die Spur gekommen oder denen nicht nähergekommen, aber zumindest deinem Vater. Da hat der Podcast ja auch etwas Positives bewirkt. Und ich würde vielleicht zum Abschluss auch noch sagen wollen, weil du gerade so schön von Transparenz gesprochen hast, das gilt natürlich – und das wird in deiner Reportage, finde ich, auch deutlich – auch für den Staat. Auch das zeigst du wunderbar und das haben wir heute auch sehr detailliert besprochen. Der darf nicht alles, nur um der Terroristinnen und Terroristen habhaft zu werden. Da hat er Grenzen überschritten mit Blick auf die RAF, würde ich sagen, und er überschreitet diese Grenzen sicherlich auch in der jüngeren Vergangenheit noch. Denkt an den NSU, dieses V-Mann-Chaos und so weiter. Auch das haben wir, glaube ich, heute mitgenommen oder habe ich auf jeden Fall heute mitgenommen. #00:40:56.8#
Dr. Hannes Liebrandt: Unbedingt. #00:40:56.3#
Niklas Miyakis: Deswegen bedanken wir uns sehr bei dir, Patrizia, dass du da warst. #00:41:00.5#
Dr. Hannes Liebrandt: Ja, vielen Dank, Patrizia! #00:41:01.0#
Niklas Miyakis: Herzlichen Dank! #00:41:01.7#
Patrizia Schlosser: War mir eine Freude, hat großen Spaß gemacht. #00:41:04.0#
Dr. Hannes Liebrandt: Sehr schön. #00:41:04.3#
Patrizia Schlosser: Danke für die Einladung. #00:41:05.4#
Niklas Miyakis: Danke. Tschüss! Wir sind raus. #00:41:07.0#